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28 Tage lang (German Edition)

28 Tage lang (German Edition)

Titel: 28 Tage lang (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Safier
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dass mir das schmeichelte.
    «Was war das andere?», fragte ich ihn.
    «Jemand, der in diesen Zeiten schmuggelt, muss sehr, sehr flink im Kopf sein. Sonst wäre er schon längst tot. Oder sie.»
    Diese Anerkennung schmeichelte mir noch mehr. Sie machte mich sogar etwas stolz. Natürlich wollte ich mir das nicht anmerken lassen, darum sagte ich schnell: «Flink im Kopf oder sehr, sehr verrückt.»
    Er lachte. Es war ein schönes, freies Lachen. Nicht so bedrückt wie das von vielen Juden. War er doch ein Pole? Nachher hieß er sogar wirklich Stefan.
    «Schmuggelst du auch?», fragte ich.
    Er blieb stehen, wurde ernst und zögerte etwas, ob und wie viel er von sich preisgeben sollte. Schließlich antwortete er: «Nicht so wie du.»
    Was sollte das bedeuten? Schmuggelte er für die Schwarzmarktkönige im Ghetto? War er ein polnischer Verbrecher, der diesen Leuten half?
    Stefan nahm seinen Arm von mir.
    «Es ist besser für dich, wenn du nicht mehr von mir weißt», sagte Stefan und wirkte plötzlich viel älter als siebzehn.
    «Och, ich halt schon einiges aus», hielt ich dagegen.
    «Das habe ich früher auch von mir gedacht», erwiderte er. Das freche Funkeln war jetzt komplett aus seinen Augen verschwunden. Auch wenn ich gern gewusst hätte, worüber er sprach, es ging mich nichts an. Er gab mir meine Taschen zurück. Ich war erleichtert; ich würde nicht ohne Lebensmittel ins Ghetto zurückkehren. Außerdem hätte es mich schwer getroffen, wenn mein Retter mich bestohlen hätte.
    «Wir sollten uns jetzt verabschieden», sagte Stefan.
    Mir gefiel das nicht. Ich hätte gerne noch mehr über ihn erfahren. Dennoch nickte ich: «Das sollten wir wohl.»
    Er sah mich ganz kurz wehmütig an, als ob auch er es bedauern würde, dass sich unsere Wege hier trennten. Als er sich von mir ertappt fühlte, knipste er sein Lächeln wieder an: «Wenn du zu Hause bist, musst du dich waschen.»
    «Was?», fragte ich erstaunt.
    «Du riechst nach Angstschweiß», grinste er breit.
    Ich wusste nicht, ob ich lachen sollte oder ihm eine langen. Ich entschied mich für beides.
    «Aua», lachte er auf.
    «Pass auf, was du sagst», antwortete ich, «es könnten sonst noch viele Auas folgen.»
    Er lachte noch mehr: «Ich sag es ja immer, attraktive Frauen sind eine Gefahr.»
    Verdammt, ich war schon wieder geschmeichelt.
    Stefan gab mir noch einen frechen Kuss auf die Wange und verschwand in der Menschenmenge. Und damit womöglich für immer aus meinem Leben, ohne dass ich seinen richtigen Namen erfahren hatte oder er wusste, dass ich eigentlich Mira hieß.
    Wenn man etwas Aufregendes erlebt, erreichen einen die Gefühle dazu manchmal erst viel später, wenn man zur Ruhe kommt. Ein spitzer Dorn der Rose pikste leicht in meine Fingerkuppe, und mit einem Mal spürte ich ganz intensiv den Kuss. Die Leidenschaft, die Stefan hineingelegt hatte. Und die, mit der ich seinen Kuss erwidert hatte.
    Ich war völlig aufgewühlt. Dieser Kuss hätte gar nicht unterschiedlicher sein können zu dem ersten, den ich damals von Daniel bekommen hatte.
    Daniel.
    Ich fühlte mich plötzlich schuldig. Wie konnte ich mich überhaupt von dem Kuss eines Fremden so beeindrucken lassen?
    Daniel war der Einzige auf der Welt, bei dem ich Kraft schöpfen konnte. Er war der anständigste Mensch, den ich kannte. Und er war immer für mich da. Im Gegensatz zu allen anderen.
    Stefan würde ich wohl nie wieder sehen. Und selbst wenn …
    Daniel und ich. Wir würden zusammen nach Amerika gehen. Irgendwann. Wir würden mit Hannah über den Broadway in New York flanieren. Diese wundervolle Stadt in Farbe erleben. Ich kannte sie nur in Schwarz-Weiß aus den amerikanischen Filmen, die man bei uns in den Kinos hatte sehen dürfen, bevor die Nazis einmarschierten.
    Daniel und ich hatten uns New York geschworen.
    Ich riss mich zusammen, verdrängte alle Gefühle, die mit dem Kuss zu tun hatten. Ich schob sie auf die ganze Aufregung, auf die Lebensgefahr, in der ich mich befunden hatte, und zwang mich, nicht mehr an Stefan zu denken. Noch hatte ich den Tag nicht überlebt. Das Schwierigste lag noch vor mir. Ich musste wieder zurück ins Ghetto. Ohne von den deutschen Wachen erwischt zu werden.

2
    Die Mauer, die jüdische Zwangsarbeiter auf Befehl der Nazis errichtet hatten – ja, die Juden hatten sich ihr Gefängnis selber bauen dürfen –, war drei Meter hoch. Auf ihr lagen Scherben, und darüber war noch mal fast ein halber Meter Stacheldraht angebracht. Bewacht wurde sie gleich

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