Unvermeidlich
1.
Ich habe Haare auf den Zehen. Es ist nicht genug, dass ich immer die breitesten Füße mit den dicksten Kartoffelzehen habe. Nein, auf diesen kleinen Knubbeln müssen auch noch drahtige Stoppeln wachsen. Eigentlich habe ich kein Problem mit überschüssigem Testosteron, aber ich bin wohl die einzige Frau auf dem Planeten, die Enthaarungswachs auf den Zehen verwendet - wie ein verfluchter Hobbit.
Mit einem unterdrückten Schrei ziehe ich den Wachsstreifen von meiner Haut. Prompt wickelt sich unser Kätzchen Bumblebee darin ein, weil sie mit einem halben Jahr immer noch nach allem schnappt, was sich bewegt.
„War das nötig, Bumy?“, frage ich das wenig beeindruckte, schwarze Fellknäuel.
Jetzt rede ich schon mit dem Vierbeiner. Ich muss dringend unter Leute. Und damit meine ich nicht den täglichen Kaffeeausschank in meinem Job im Coffeeshop Trudi´s .
Mit einer Menge Geschrei (von der Katze) und einem zerkratzten Arm schaffe ich es schließlich, sie von dem Streifen zu lösen, ohne sie an dieser Körperstelle völlig haarlos zurückzulassen. Bumblebee liegt zu meinen Füßen am Badewannenrand und leckt ihre „Wunde“, während ich die Kratzer auf meiner Haut desinfiziere.
Nur ein freier Abend im Monat, an dem meine 6-jährige Tochter Anna bei meinen Eltern schläft und ich mit meinen Freundinnen ausgehen kann, doch nach dieser Aktion habe ich eigentlich schon keine Lust mehr.
Ich will nicht jammern, nein, das will ich wirklich nicht. Aber ich bin erschöpft. Im Augenblick geht alles drunter und drüber. Mein Literaturwissenschaftsstudium musste ich abbrechen. So gerne ich auch diese starke Frau sein möchte, ich bekomme es nicht hin. Alleinerziehend und mit einem Halbtagsjob, schaffe ich es einfach nicht, am Abend noch angemessen für die Uni zu lernen. Ich bewundere Mütter, die das sogar mit zwei oder drei Kindern stemmen, doch ich habe eingesehen, dass ich nicht diese Powerfrau bin. Zudem muss ich mir eingestehen, dass es mir nicht so sehr liegt, wie ich ursprünglich glaubte.
Anna ist völlig überdreht wegen ihrer bevorstehenden Einschulung und die Situation mit ihrem Vater verbessert das auch nicht gerade. In den letzten Wochen fechtet sie mit mir Machtkämpfe aus, die auf einer erschreckend reifen Ebene stattfinden.
Manchmal möchte ich mir einfach nur die Decke über den Kopf ziehen und für die nächsten Tage nicht mehr aufstehen, aber ich weiß auch, dass ein Abend mit Sandra und Nicole mir die Möglichkeit gibt, Dampf abzulassen. Und die Aussicht darauf, wenigstens morgen früh ausschlafen zu können, motiviert mich, doch noch unter die Dusche zu steigen, statt ins Bett, um mich für eine lange Nacht in der Mönchengladbacher Altstadt aufzubrezeln.
Sandra und Nicole warten bereits in einem der vielen Straßencafés auf dem Alten Markt. Anscheinend haben sie vorgearbeitet, denn der Kellner stellt ihnen mindestens den zweiten Longdrink vor die Nase. Und an genau dieser Nase kann man bei Sandra prima ablesen, wenn sie etwas gezwitschert hat, denn die verfärbt sich im Laufe des Abends zu einem kleinen Feuermelder.
Meine beiden Freundinnen könnten unterschiedlicher nicht sein. Nicole ist eine langbeinige, asiatische Schönheit, die ihr atemberaubendes Aussehen einer japanischen Mutter und einem skandinavischen Vater verdankt. Ihr köstlicher Sarkasmus wird von Außenstehenden oft als arrogant und herablassend empfunden, aber genau deswegen mag ich sie. Letztendlich ist sie einfach nur grundehrlich.
Sandra ist ein draller Meterfünfzig, wie mein großer Bruder Jakob sie gerne bezeichnet. Sie hat ein Herz aus Gold und mit Gregor einen Mann an ihrer Seite, der sie mehr liebt als sich selbst. Mit ihrer kupferroten Lockenmähne ist sie ein Hingucker, nur wird sie wegen ihrer geringen Körpergröße meist übersehen.
Zusammen mit Nicole amüsiere ich mich oft über ihr bürgerliches Leben mit diesem biederen Mann, doch Sandra lacht uns nur aus. Sie weiß genau, dass zumindest ich ein wenig neidisch auf dieses geregelte Leben bin.
„Daniela beehrt uns auch endlich mit ihrer Anwesenheit“, begrüßt mich Nicole und steht von ihrem Stuhl auf, um mich auf beide Wangen zu küssen.
„Diese verfluchte Katze musste natürlich noch auf den Wohnzimmerteppich kotzen, als ich praktisch schon aus der Tür raus war. Ich frage mich jedes Mal aufs Neue, wie Anna mich dazu überreden konnte. Als hätte ich nicht genug Stress.“
Ich umarme Sandra und lasse mich auf
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