286 - Der körperlose Herrscher
auffallen, dass ihr beiden keine Mar'osianer seid.«
»Das wird es nicht.« Quart'ol hatte lange darüber nachgedacht, wie sie sich am besten in die Stadt einschleichen konnten. »Ich habe die Namen zweier Hydriten herausgefunden, die zuvor in Hykton gelebt haben, aber übergelaufen sind. Gilam'esh und ich werden ihre Identitäten benutzen. Durch ihre Verwandten in Hykton wissen wir genug über sie, um sie glaubhaft verkörpern zu können.«
Bel'ar wirkte noch immer nicht überzeugt. »Das ist zu riskant. Denk an deinen letzten Einsatz, Quart'ol. Er wäre fast schiefgegangen. Was macht ihr, wenn euch die richtigen Überläufer begegnen?«
Quart'ol hob die Arme. »Das Risiko ist bei der Größe Neu-Martok'shimres eher gering. Und für den Notfall haben wir genügend Waffen dabei, um uns den Weg freizukämpfen. Aber ich hoffe, das wird nicht nötig sein.« Er sah sie um Verständnis suchend an. »Du weißt, wir müssen nach Neu-Martok'shimre! Wie sonst sollen wir E'fah retten?«
»Mir wäre wohler, wenn ihr eine ganze Armee bei euch hättet.«
Gilam'esh zeigte seine Zähne. Er strotzte vor Selbstvertrauen und Tatendrang. Nicht einmal in diesem Moment konnte er sich treiben lassen, sondern schwamm im bionetischen Beratungssaal auf und ab. »Manchmal ist eine kleine Einheit wesentlich effektiver als eine Armee. Aber ich werde mit Kal'rag sprechen. Er soll seine Truppen im Kelpwald vor der Stadt aufschwimmen lassen. Sar'kir ist nicht dumm. Sie wird nicht den Fehler begehen, mich oder Quart'ol zu töten; damit würde sie uns zu Märtyrern machen. Das kann nicht in ihre Pläne passen. Falls sie uns gefangen nimmt, wird Kal'rag die Verhandlungen führen und im schlimmsten Fall einen Krieg beginnen. Die Hydriten Hyktons haben eine fast hundertfache Übermacht.«
»Aber so weit wird es nicht kommen«, beschwichtigte Quart'ol hastig, als er Bel'ars verstörten Gesichtsausdruck sah. »Niemand von uns wünscht einen Krieg oder eine Gefangennahme, auch Gilam'esh nicht.« Er war sich nicht sicher, ob das stimmte. Seitdem sein Freund E'fah in der Gewalt der Mar'os-Jünger wusste, brannte er darauf, die Stadt ins Schelf zu stampfen. Er war sogar bereit, sein eigenes Leben aufs Spiel zu setzen, obwohl Kal'rag ihm vehement davon abgeraten hatte, selbst in die Mar'os-Stadt zu ziehen.
»Sieh uns als Späher«, sagte Quart'ol versöhnlich. »Wir werden nichts riskieren, sondern zunächst einmal die Lage sondieren.«
» Du wirst das.« Bel'ar verschränkte die Arme unter der muschelbedeckten Brust. »Aber Gilam'esh scheint sich noch immer nicht an die ungewöhnlichen Werte seiner Tantrondrüse zu gewöhnen. Dadurch, dass er einen so jungen Körper hat, ist er viel zu risikobereit. Mal ganz davon abgesehen, dass es um E'fah geht und allein die Erwähnung des Namens ihn in einen pubertierenden Junghydriten zu verwandeln scheint.« Sie sah den Propheten herausfordernd an. »Oder siehst du das anders, großer Zeitreisender?«
Gilam'esh hob den Kopf und sah sie an. In diesem Blick lag eine Ausdruckskraft, die kein anderer Hydrit besaß. Es waren die Augen eines Kindes und zugleich die eines uralten Wesens. Milliarden von Jahren hatten ihre Spuren hinterlassen, auch wenn Gilam'esh nicht die gesamte Zeitspanne erfahren hatte und die Einsamkeit im Zeitstrahl ihn für Jahrmillionen ins Vergessen gestürzt hatte. Er hatte eine Erfahrung und Reife, die selbst Quart'ol verstummen ließ.
»Was würdest du tun, Bel'ar«, fragte Gilam'esh, »wenn es nicht um E'fah, sondern um Quart'ol ginge?«
Bel'ar starrte in diese blauschwarzen Augen und schwieg.
»Was würdest du tun?«, klackte Gilam'esh erneut. »Leg deine Hand auf deinen Leib und fühle in dich hinein. Sag mir die Wahrheit.«
Die Hydritin wandte den Kopf ab, ihr Scheitelkamm senkte sich ein Stück. »Wenn es Quart'ol wäre… ich würde alles tun.«
Der Geistwanderer schnalzte zufrieden. »Dann hilf mir. Überprüf unsere Ausrüstung und gib uns etwas von dem Mittel, das du entwickelt hast. Falls wir Fisch fressen müssen, möchte ich nicht an einer vergrößerten Tantrondrüse leiden. So weit ich weiß, hast du ein Mittel, das vorbeugend wirkt.«
Sie gab einen zustimmenden Laut von sich und schwamm zum Muscheltor. Gilam'esh und Quart'ol blieben allein zurück.
»Du liebst sie.« Quart'ol brauchte endlich Gewissheit. »In der Zeit in Gilam'esh'gad und bereits davor, als du E'fah kennenlerntest, hast du dich in sie verliebt. Du bist nur deshalb nicht mit ihr zusammen, weil du ihre
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