286 - Der körperlose Herrscher
dunkle Seite fürchtest. Ihren Willen zur Macht und ihre Sehnsucht nach Prunk.«
»Was willst du hören, Quart'ol?«
»Die Wahrheit. So wie du sie eben von Bel'ar verlangt hast.«
Gilam'esh blauer Scheitelflossenkamm mit den violetten Spitzen verfärbte sich leicht. »Und wenn es so wäre? Wenn du die Wahrheit bereits kennen würdest?«
Quart'ol musterte den Freund forschend. »Ich möchte, dass du mir versprichst, dass du dein Leben nicht leichtfertig in Gefahr bringst, und das meine auch nicht. Wir werden gemeinsam…«
Ein Geräusch, verbunden mit einer Wasserströmung, unterbrach ihn. Das Muscheltor öffnete sich und im ersten Moment glaubte Quart'ol, es sei Bel'ar, doch es war ein Wachhydrit in der Muschelrüstung der Meerespalastwache von Kal'rag.
Der Hydrit wirkte verunsichert und machte sich ehrerbietig klein, indem er die Knie ein Stück anzog. »Entschuldigt die Störung. Ich habe eine Nachricht für den Propheten Gilam'esh.«
Gilam'esh schwamm dem Wächter entgegen. »Schickt Kal'rag dich?«
»In der Tat. Ich soll ausrichten, dass ein Bote aus Neu-Martok'shimre eingetroffen ist. Er befindet sich im Hydrosseum.«
»Ein Bote aus Neu-Martok'shimre?« Quart'ol sah verwundert auf. »Warum ausgerechnet jetzt?«, sinnierte er laut.
»Das weiß ich nicht«, klackte der Wächter. »Aber der Bote möchte mit Gilam'esh reden. Er sagte, es ginge um eine Einladung von Sar'kir.«
Quart'ol und Gilam'esh sahen einander an. Eine Einladung von der Mar'os-Anführerin? Konnte das sein? Oder steckte das Tentakelmonster dahinter?
»Wir kommen«, klackte Gilam'esh. Er war bereits auf dem Weg zum Tor. Quart'ol folgte ihm.
»Wir müssen von einer Falle ausgehen und uns darauf vorbereiten«, klackerte er leise. »Es kann kein Zufall sein, dass Neu-Martok'shimre einen Boten schickt, ein paar Stunden nachdem E'fah und du einander getroffen habt.«
»Was auch immer es ist«, Gilam'eshs Gesicht zeigte seine Entschlossenheit, »wir werden es zu nutzen wissen.«
***
Quesra'nol schwamm in die Throngrotte ein und sah sich verwundert um. Bislang waren vier Wachen in der Grotte gewesen und zwei hatten davor Position bezogen. Nun hatte Mutter ihre Anzahl verdoppeln lassen. Was hatte sie vor? Fürchtete sie einen Angriff oder hatte es mit der Einladung von Gilam'esh aus Hykton zu tun?
Auch E'fah war in der Grotte. Sie sah aus wie die Statue Sar'kirs, wie die zu Stein erstarrte Hydritin, die vor wenigen Gezeiten noch in dieser Höhle gestanden hatte.
Ob E'fah auch zu den Wachen gehörte?
Ihr ausdrucksloser Blick ließ keinen Zweifel daran, dass Mutter einen großen Teil ihrer mentalen Energie auf E'fah richtete. Die Hydritin war ihr ganz und gar ergeben, während es ihm selbst immer öfter glückte, Mutters geistiger Kontrolle zu entkommen. Besonders wenn er sich weiter von ihr entfernte, gelang es ihm inzwischen mühelos, seine Gedanken vor ihr zu verbergen. Oder täuschte er sich da? Wusste Mutter von seinem Verrat?
Ein flaues Gefühl stieg in seinem Magen auf, als habe er verfaulten Tang gegessen. Warum so viele Wachen? Warum diese feindlichen Blicke? Bildete er es sich nur ein oder braute sich etwas zusammen?
Quesra'nol , erklang Mutters Stimme in seinen Gedanken. Was ist mit meinem mechanischen Körper? Konntest du die Arbeiten endlich beenden?
»Ja, Mutter «, antwortete er nicht ohne Stolz. »Die Spinne ist fertiggestellt.«
Bring sie her. Ich bin begierig zu erfahren, ob ich sie mit meinen Gedanken lenken kann, so wie du es mir versprochen hast.
»Das Material reagiert wie berechnet auf mentale Befehle. Es wird dich sicher und behütet tragen, Mutter .«
Rede nicht! Hol die Spinne. Und beeil dich!
Er konnte Mutters Gier spüren. Sie machte sie unvorsichtig, denn plötzlich konnte er unfreiwillig einen Einblick in ihre Gedanken erhaschen.
Sie träumte von ihrer Reise zum Ursprung. Der Reise über die Kontinente dieser Welt, bei der sie erstmals das trockene Land überqueren würde, was mit der Karavelle nicht möglich gewesen war. Und sie träumte von ihrem Plan, der sich bald erfüllen würde. Ihrem Plan, in dem auch er eine Rolle spielte! Als Wegzehrung!
Quesra'nol atmete gurgelnd durch die Kiemen. Die Wachen waren seinetwegen da. Um ihn im Zaum zu halten, falls er sich wehren sollte, wenn sie ihm den Glanz raubte.
Sie wird mich töten. Sobald sie ihre Spinne hat und sie ausgiebig getestet hat, bin ich entbehrlich für sie geworden. Dann wird sie mich zu Stein verwandeln und sich den Glanz nehmen, den sie
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