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294 - Der Keller

294 - Der Keller

Titel: 294 - Der Keller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Weinland
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Scherben seines Lebens.
    »Ein großes Unglück«, sagte eine Stimme, die aber jegliches Mitgefühl missen ließ.
    Der Bürgermeister kam mit seiner Leibwache ins Haus.
    Zu jeder anderen Zeit hätte Paavel gegen das Eindringen aufbegehrt. Jetzt aber war er dafür zu schwach. Mit hängenden Schultern, Jurgis vor der Brust, stand er da und blickte Horowitz entgegen, dessen Gehstock in der Asche herumstocherte.
    »Tragisch«, sagte der Bürgermeister. »Überaus tragisch. Erst dein Weib, jetzt dein Haus. Aber so ist es, wenn man einen Fluch am Hals hat, noch dazu einen, den man selbst heraufbeschworen hat - du weißt, was ich meine. Das da…«, er hob den Stock und zeigte mit dem Metallende auf Jurgis, »… ist an allem schuld! Ich hielt dich für klüger, Paavel Kolitz. Aber du hast dein ganzes Hab und Gut aufs Spiel gesetzt, um einen Bastard in unserer Mitte zu halten. Das verzeihen dir die Menschen nicht…« Er blickte nach oben. »Und das verzeiht dir auch Wudan nicht! Nun ist es fast zu spät, Paavel, und das tut mir im Herzen weh. Denk gut nach, was du tust. Ob du länger mit dieser Monstrosität unter einem Dach leben willst - oder ob du doch noch eine Wende zum Guten herbeiführen kannst. Die Gemeinde wird dich wieder aufnehmen, wenn sie deine Reue erkennt. Aber du musst Taten sprechen lassen. Du verstehst, was ich meine…?«
    Paavel beobachtete sich dabei, wie er langsam nickte. Wie er gar nicht mehr damit aufhören wollte, obwohl er sicher wusste, dass nicht Jurgis, sondern Horowitz das Monster war.
    In diesem Moment verlor er jede Achtung vor sich selbst. Aber gleichzeitig begann eine Idee in ihm zu reifen, was er tun konnte, um überhaupt noch eine Zukunft in Alytus zu haben, der Heimat seiner Eltern und Großeltern.
    »Wirklich?« Horowitz schien von Paavels Einlenken völlig überrascht. Offenbar hatte er mit Hassausbrüchen gerechnet, aber niemals mit Kapitulation.
    »Wirklich«, sagte Paavel. »Lasst mich jetzt allein. Ich brauche Ruhe. Ich will…«
    »Was?«, fragte Horowitz mit gefurchter Stirn.
    »… mich verabschieden.«
    Als Paavel ihn starr anblickte, reagierte Horowitz und winkte seine Männer aus dem Haus. Er selbst folgte als Letzter, blieb aber im Flur noch einmal stehen und rief Paavel zu: »Übrigens: Olga ist verschwunden. Du hast sie nicht zufällig gesehen?«
    »Olga?« Paavel schüttelte den Kopf. »Das ist Tage her.«
    Horowitz blickte ihn mit sezierendem Blick an. »Nun, nicht so wichtig. Wird schon wieder auftauchen, die Alte. Und vergiss nicht: Ich vertraue dir! Enttäusch mich nicht. Wehe dir, wenn du weiter Wudan und die Natur verspottest!«
    ***
    Nachdem es dunkel geworden war, schlich Paavel wie ein Dieb durch die Nacht, und als am nächsten Morgen ganz früh schon wieder der Bürgermeister samt Gefolge vor Paavels Hausruine auftauchte, trat der Witwer ihm mit einem eingeschlagenen Bündel entgegen. Dicht vor Horowitz blieb er mit übernächtigtem Gesicht stehen. »Was ist das?«, fragte der Bürgermeister.
    »Meine Kapitulation«, sagte Paavel leise.
    »Kapitulation?« Horowitz winkte einen aus seiner Leibwache heran und bedeutete ihm, das Bündel entgegenzunehmen und zu öffnen.
    Der Mann gehorchte, ohne nachzudenken. Dann prallte er jedoch zurück und ließ die makabre Last fallen. Beim Aufprall auf den Boden rutschte ein verkohlter Leichnam aus dem Tuch.
    Selbst Horowitz wirkte für ein paar Atemzüge geschockt. Dann fragte er: »Warum hast du das getan?«
    »Warum?« Paavel sah ihn verständnislos an. »War es nicht das, was Ihr wolltet, Herr Bürgermeister?«
    »Du hast ihn verbrannt!«
    »Im Ofen.« Paavel nickte. »Um den Fluch vollends zu besiegen. Darf ich ihn begraben? Neben seiner Mutter?«
    Horowitz wirkte angewidert, nickte aber. »Du hast das einzig Richtige getan, Paavel Kolitz. Willkommen zurück in der Gemeinschaft. Du hast einen hohen Preis für deine Einsicht zahlen müssen, dich am Ende aber doch besonnen. Deine Nachbarn werden von heute an wieder für dich da sein und dir auch beim Wiederaufbau helfen.«
    Zu Horowitz' Überraschung lehnte Paavel ab. »Ich schaffe das schon alleine«, versicherte er. »Es wird mich auf andere Gedanken bringen. Ich habe ja Zeit.« Er hüstelte. »Alles ist gut.«
    »Wie du meinst, Paavel Kolitz. Bleib auf dem Pfad der Geläuterten. Unsere Gebete werden dich tragen.« Er kehrte Paavel den Rücken, drehte sich dann aber wieder um und meinte: »Die Sieche Olga ist immer noch verschwunden. Ihr Häuschen ist verlassen. Wo sie

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