2944 - Rache ist ein seltsames Spiel (German Edition)
Frage mussten wir eine plausible Antwort finden. Phil und ich stiegen aus dem Wagen und gingen zum Empfang, wo uns eine elegante Lady mit Hornbrille einen distanziert-freundlichen Blick zuwarf.
Wir zeigten unsere Dienstausweise.
»Ich bin Agent Jerry Cotton vom FBI New York. Das ist Agent Phil Decker. Wir möchten einen Blick in Ihr Besucherbuch werfen.«
»Selbstverständlich.«
Die Empfangsdame überreichte mir einen dicken Folianten. Ich benötigte nicht viel Zeit, um Laura Darros Namen zu finden. Unsere junge Kollegin war vor einer Woche hier gewesen.
»Wir müssen Mister Samuel Price sprechen«, sagte ich zu der Hornbrillen-Lady.
»Das wird kaum möglich sein.«
»Ist er nicht da?«, hakte ich nach.
»Doch, aber man kann nicht besonders gut mit ihm reden. Am besten gehen Sie zu ihm, dann sehen Sie selbst, was ich meine.«
Die Empfangsdame drückte auf einen Knopf. Wenig später erschien eine junge Frau mit roter Kurzhaarfrisur, die eine weiße Hose und ein T-Shirt in der gleichen Farbe trug. Ihr Namensschild wies sie als Schwester Lynn aus.
»Schwester Lynn, begleiten Sie die beiden Agents bitte zu Mister Price«, ordnete die Lady hinter dem Empfangstresen an. Die Rothaarige nickte gleichmütig.
»Folgen Sie mir.«
Die Pflegerin führte uns durch einen großen Wintergarten, in dem mehrere Senioren mit ihren Besuchern saßen. Es gab Topfpalmen und andere Grünpflanzen, der Raum wirkte hell und freundlich. Sollte hier wirklich ein Serienmörder seinen Lebensabend verbringen?
»Sie sind vom FBI?«, fragte mich Schwester Lynn.
»Ja, genau.«
»Was wollen Sie denn von Mister Price?«
»Das besprechen wir lieber direkt mit ihm.«
»Hat man Ihnen nicht gesagt, dass er sich nicht gut verständlich machen kann?«
»Doch, aber ich bilde mir mein Urteil lieber selbst.«
»Wie Sie meinen, Agent.«
Ich zeigte Schwester Lynn ein Foto von Laura Darro.
»Haben Sie diese Frau schon einmal gesehen?«
»Nein«, erwiderte die Pflegerin, für meinen Geschmack eine Spur zu schnell. Aber vielleicht bildete ich mir das auch nur ein.
»Sie hat Mister Price neulich auch besucht«, warf Phil ein.
»Mag sein, Agent«, gab Schwester Lynn zurück. »Aber ich bin ja nicht rund um die Uhr hier. In der Atlantic Residence wird im Drei-Schichten-Betrieb gearbeitet, damit unsere Gäste stets die bestmögliche Versorgung haben.«
Die Pflegerin führte uns durch einen breiten Flur. Sie klopfte an einer Tür aus Eichenholz. Von drinnen ertönte ein röchelnder Laut. Schwester Lynn ging hinein, Phil und ich folgten ihr.
Der gediegen eingerichtete ebenerdige Raum hatte eine Terrasse. Dort saß in einem Rollstuhl ein alter Mann, dessen Hinterkopf nur noch von wenigen grauen Haaren bedeckt wurde. Ansonsten war er vollkommen kahl. Er trug einen Morgenrock und Pantoffeln. Sein Mund stand halb offen, und er drehte seinen Kopf langsam in unsere Richtung.
»Mister Price versteht nicht alles, was man ihm sagt«, raunte die Pflegerin mir zu. »Ich lasse Sie jetzt mit ihm allein.«
Phil und ich gingen zu dem Mann, der uns mit einem seltsamen Blick musterte. Ob dieser Greis wirklich vor dreißig Jahren vier Menschenleben ausgelöscht hatte?
***
Ich stellte Phil und mich vor, wobei ich Samuel Price meinen FBI-Ausweis vor das Gesicht hielt. Außerdem sprach ich besonders laut, obwohl die Pflegerin nichts davon gesagt hatte, dass der Heimbewohner schwerhörig wäre. Es war einfach für mich unmöglich einzuschätzen, ob Price uns überhaupt verstand oder nicht.
Auch bei Samuel Price versuchte ich mein Glück mit dem Foto von Laura Darro.
»Hat diese Frau Sie kürzlich besucht, Mister Price?«
Meine Frage war eigentlich überflüssig. Wir hatten ja bereits in Erfahrung gebracht, dass die Profilerin hier gewesen war. Aber es kam mir auf seine Reaktion an.
Der alte Mann gab einen unverständlichen Laut von sich. Es konnte sich sowohl um Zustimmung als auch um Ablehnung handeln. Doch wichtiger war mir, seinen Gesichtsausdruck zu beobachten. Und es kam mir so vor, als ob Price einen Blick voller Abscheu auf das Bild werfen würde. Aber begriff er überhaupt, was wir von ihm wollten? Inwieweit war er noch im Vollbesitz seiner geistigen Kraft?
Wir mussten unbedingt mit dem behandelnden Arzt sprechen. Doch der Mediziner musste per Gerichtsbeschluss von seiner Schweigepflicht entbunden werden. Das kostete Zeit, und die hatten wir am allerwenigsten. Laura Darro schmorte womöglich in einem finsteren Verlies und brauchte dringend unsere
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