2944 - Rache ist ein seltsames Spiel (German Edition)
der Kaffeekanne zu schaffen, stellte Zucker und Milch auf den Tisch.
»Ja, ich habe ihren Namen gar nicht richtig mitgekriegt. Ich weiß noch nicht mal, ob sie ihn überhaupt genannt hat. Ehrlich gesagt war ich viel zu froh darüber, mal wieder über die alten Zeiten reden zu können. Wie habe ich den Job damals oft verflucht, wenn ich Doppelschichten einlegen musste und die Kriminellen nach ein paar Tagen hinter Gittern wieder auf den Straßen waren! – Aber jetzt im Ruhestand wird es mir oft langweilig, ehrlich gesagt.«
Ich fragte Norris, wie die FBI-Kollegin ausgesehen hatte. Seine Beschreibung passte haargenau auf Laura Darro, aber darüber wunderten sich weder Phil noch ich. Doch Henry Norris merkte natürlich, dass etwas nicht in Ordnung war. Einem so erfahrenen Ex-Cop konnte man nichts vormachen. Misstrauisch kniff er die Augen zusammen, während er uns Kaffee eingoss.
»Könnte es sein, dass Ihre Kollegin Mist gebaut hat, Agents?«
»Sie ist höchstwahrscheinlich in großer Gefahr«, erwiderte ich ausweichend. »Es wäre gut, wenn Sie uns einfach erzählen, worüber Sie mit ihr gesprochen haben, Mister Norris.«
»Es kommt mir immer noch falsch vor, wenn mich jemand nicht Detective Norris nennt. Aber das bin ich ja nun nicht mehr. – Ihre Kollegin wollte mit mir den Brooklyn-Golem -Fall noch einmal durchgehen. Das wundert mich nicht, denn es war die größte Sache, mit der ich mich während meiner Zeit beim Department jemals beschäftigen musste.«
»Sie haben den Fall bearbeitet, nicht wahr?«
Der Pensionär nickte und nahm einen Schluck Kaffee.
»Mein Dienstpartner Julian Peters und ich. Julian wurde ja leider von irgendwelchen Schweinehunden abgeknallt, aber das hatte nichts mit dem Brooklyn-Golem zu tun. – Wir haben den Killer später auch Brooklyn-Golem genannt, obwohl wir die Bezeichnung ziemlich daneben fanden. Und wie gerne hätten wir ihn erwischt!«
»Das glaube ich Ihnen. Wir haben die Ermittlungsakte vorliegen, und es mangelte ja wohl nicht an Verdächtigen.«
»Allerdings, Agent Cotton. Sie werden wissen, dass für uns nur ein großer kräftiger Mann als Täter in Frage kam. Doch von der Sorte gab und gibt es in Brooklyn mehr als genug. Damals steckte das Profiling noch in den Kinderschulen. Julian und ich mussten uns selbst zusammenreimen, was im Kopf dieses Killers vor sich gehen mochte. Aber wir waren nun mal keine Seelendoktoren. Jedes Mal wenn wir einen Verdächtigen aufs Revier schleppten, konnte er ein wasserdichtes Alibi vorweisen. Es war zum Verrücktwerden. Deshalb hatte ich ja so große Hoffnung, als Ihre Kollegin neulich bei mir aufkreuzte. Sie sagte, sie wäre eine ausgebildete Profilerin.«
»Das ist sie auch. Wann genau war sie bei Ihnen, Mister Norris?«
Der Ex-Detective dachte offenbar angestrengt nach.
»Das muss vor zwei Wochen gewesen sein, und zwar an einem Dienstag. Das weiß ich genau, weil ich erst dachte, die FBI-Agentin wäre eine von den Bridgepartnerinnen meiner Frau. Aber dafür ist sie viel zu jung. Diese Kollegin von Ihnen könnte ja meine Tochter sein.«
Ich beschloss, Henry Norris reinen Wein einzuschenken. Er stand ja schließlich auf derselben Seite wie wir.
»Ihr Name ist Laura Darro. Ich nehme an, der Name Darro sagt Ihnen etwas.«
Das sonnengebräunte Gesicht des Ex-Detectives erbleichte.
»Das letzte Opfer des Brooklyn-Golem «, flüsterte er.
***
Nachdem Henry Norris den ersten Schock verdaut hatte, kam er aus dem Kopfschütteln nicht heraus.
»Ich kann nicht glauben, dass die Tochter des Ermordeten bei mir war. Sie hat auf dem Stuhl Platz genommen, auf dem Sie jetzt sitzen, Agent Decker. Und sie fragte mich völlig sachlich nach Einzelheiten, die sich nicht in den Ermittlungsakten finden.«
»Was für Details meinen Sie denn?«, hakte ich nach. »Eigentlich sollten doch alle Fakten in den Berichten stehen.«
»Die Fakten schon, Agent Cotton. Aber Ihre Kollegin – Laura Darro – fragte mich ganz unverblümt nach meinem Bauchgefühl. Ich sagte ihr, dass ein Ermittler sich nicht auf seine Stimmungen verlassen dürfte.«
»Und was erwiderte sie?«
»Laura Darro sagte, das sei ihr bewusst. Aber dennoch dürfte man sich ganz privat eine eigene Meinung bilden, ohne diese jemals in die Ermittlungsakte schreiben zu müssen.«
Das konnte ich sehr gut verstehen. Wir alle sind schließlich Menschen und keine Fahndungsmaschinen. Trotzdem hielt ich mich mit meiner eigenen Ansicht normalerweise zurück. Denn vor Gericht zählen nicht
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