3 - Wächter des Zwielichts
Sollte ich auch nur eine Sekunde erlahmen, würde Kostja sich losreißen, würde zum Gegenschlag ausholen. Und dann so zuschlagen, dass mir Hören und Sehen verging... Dann würde ich und nicht Kostja da auf dem Asphalt liegen, zu Brei zerquetscht...
Er hob den Kopf. Sah mich an. Nicht böse, sondern eher verletzt und ungläubig. Ganz langsam breitete er die Arme aus... Sollte er tatsächlich noch Kraftreserven haben?
Um Kostja herum zeichnete sich ein hellblaues, durchscheinendes Prisma in der Luft ab. Es zerschnitt die grauen Fäden des Zaubers, kreiste und schrumpfte zu einem Punkt zusammen. Dann verschwand es. Zusammen mit dem Vampir. Kostja war durch ein Portal geflohen.
Nach wie vor brandete die Kraft in mir. Die Kraft von Tausenden von Anderen, die Geser und Sebulon mir zugeleitet hatten, eine überbordende, unkontrollierte Kraft, die nach Anwendung verlangte. Menschenkraft, die durch dritte Hand zu mir gelangt war... Es reichte...
Ich führte meine Hände zusammen und ballte die grauen Fäden zu einem festen Knäuel. Es reichte... Der Feind stand nicht mehr vor mir. Es reichte...
Ein Duell der Magier - das bedeutet zu fechten, nicht mit einem Knüppel zuzuhauen. Es reichte. Kostja hatte sich als der Raffiniertere erwiesen.
Ein leichtes Zittern schüttelte mich, trotzdem hörte ich auf. Der Himmel gewann seine Farbe zurück, auf der Startbahn raste das Flugzeug los. Kostja war weg. Geflohen?
Nein, er war einfach weg. Noch nie hatte ich von Vampiren gehört, die imstande sind, ein direktes Portal zu öffnen. Und die Großen hatten offenbar ebenfalls nicht erwartet, dass Kostja uns mit einer solchen Finte täuschen würde.
Als er zum Flughafen gekommen war, hatte er damit gerechnet, dass alle nur an Flugzeuge und Hubschrauber denken würden. Sich entspannen würden, denn ihnen blieb noch genug Zeit, sie konnten den Vampir ja in der Luft abfangen, Jagdflugzeuge losschicken, sie konnten Raketen abfeuern...
Kostja hatte sich jedoch von Anfang an auf einen Sprung in ein direktes Portal vorbereitet. Anderthalb Stunden vor dem Start der Rakete... Niemals hätte er es geschafft, mit einem Flugzeug pünktlich in Baikonur einzutreffen! Außerdem flog da sowieso keins hin, schließlich gab es in dem Gebiet - wozu auch immer es jetzt erklärt sein mochte - noch eine Luftabwehr. Und nur deshalb hatte er den Sprung selbst unter dem Druck der »grauen Andacht« geschafft: Der Zauber für das Portal war bereits gewirkt, bereits »aufgehangen« - genau wie die Kampfzauber bei uns Fahndern.
Also hatte er doch nicht geglaubt, dass ich zu ihm überlaufen würde. Oder zumindest ernsthafte Zweifel daran gehabt. Trotzdem war es für ihn wichtig - sehr wichtig -, mich zu besiegen. Und zwar nicht durch reine Kraft. Was bedeutet schon Kraft, wenn er nun ein Hoher und ich immer noch ein Magier zweiten Grades war, selbst wenn man noch so viel geliehene Kraft in mich gepumpt hatte. Nein, der reinste, der überzeugendste Sieg ist der, wenn der Gegner deine Wahrheit anerkennt. Sich kampflos ergibt. Sich unter deine Fahne stellt.
Letzten Endes bin ich doch ein Dummkopf. Ich hatte ihn für einen Freund oder einen Feind gehalten. Doch er war keins von beiden. Er gedachte lediglich seine Wahrheit zu beweisen. Und wie es der Zufall so wollte, sollte ich als Mittel der Beweisführung dienen. Schon kein Freund mehr, aber noch kein Feind. Sondern nur der Träger einer alternativen Wahrheit. »Hat er sich mit Teleportation davongemacht?«, fragte Lass.
»Was?« Ich drehte mich um und sah ihn an. »Nun ... etwas in der Art. Er hat ein Portal geöffnet und ist verschwunden. Wie bist du dahintergekommen?«
»In einem Computerspiel habe ich mal etwas gesehen, das kam dem hier ziemlich nahe ...«, sagte Lass leicht zweifelnd. Um dann verärgert zu präzisieren: »Sehr nahe!«
»Diese Spiele werden nicht nur von Menschen gemacht ...«, erklärte ich. »Ja, er ist verschwunden. Nach Baikonur. Er möchte einen Weltraumtouristen ersetzen...« »Das habe ich gehört«, sagte Lass. »So ein Idiot.« »Ist dir klar, warum er ein Idiot ist?«, fragte ich.
Lass schnaubte. »Wenn alle Menschen Magier werden ... Heute pöbelt man dich in der Straßenbahn an, und morgen verbrennt man dich auf der Stelle zu Asche. Heute zerkratzt man einem unangenehmen Nachbarn die Tür mit einem Nagel oder denunziert dich beim Finanzamt, morgen wirkt man irgendein Unheil oder saugt ihm das Blut aus. Ein Affe auf einem Motorrad ist nur im Zirkus amüsant, nicht im
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