301 - Libretto des Todes
Ellenbogenstoß in die Seite trieb ihm die Luft aus den Lungen und stellte ihn wieder ruhig.
»Strafe muss sein. Niemand legt uns rein, verstehst du?« Das Knie der Blutsaugerin fuhr ansatzlos hoch. Es traf Oliveer in die Weichteile. Der Direktor schrie wie am Spieß und klappte zusammen, da die Nosfera ihn plötzlich losließen.
Schwere Stiefel traten von allen Seiten auf ihn ein, von oben stießen die Stöcke auf ihn herab. Ein Meer von Schmerzen breitete sich in dem alten Mann aus. Die ausgezeichnete Akustik der Greeflichen Opera zu Barreut verteilte seine Schreie laut und klar im riesigen Zuschauersaal, dessen halbrunde, rot gepolsterte Sitzreihen nach oben anstiegen. Irgendwann wimmerte Oliveer nur noch, schützte so gut es ging sein Gesicht und versuchte verzweifelt, aus dem Mittelgang in den vermeintlichen Schutz einer Stuhlreihe zu kriechen.
Urplötzlich hörten die Schläge und Tritte auf. Halb bewusstlos registrierte er, dass er auf den Rücken gedreht wurde. Ein Schwall eiskalten Wassers brachte ihn wieder zu sich. Oliveer hustete und würgte und sah erneut das furchtbare Gesicht über sich.
»Dieses Mal kommst du noch glimpflich davon, Alter«, zischte Roosa. »Solltest du allerdings der Polenta oder sonst wem von unserer kleinen Aufwartung heute Abend erzählen, machen wir dich kalt. Verstanden?«
»Ver...standen«, ächzte Oliveer kaum hörbar. Überall im Rachen schmeckte er Blut, sein Blick war getrübt, alles tat so furchtbar weh.
Das war aber nichts gegen den Schock, der folgte, als sich die Nosfera plötzlich neben ihm niederließen, ihm die Kleider vom Leib rissen und begannen, gierig das Blut von seinem Körper zu lecken.
***
Anfang August 2527
Matthew Drax jagte den vierachsigen Radpanzer über die grünen Hügel Süddeutschlands. Er forcierte seit ihrem Aufbruch aus Lübeck das Tempo, denn er wollte Schloss Neuschwanstein so früh wie möglich erreichen. Trotzdem waren sie seit fast zwei Wochen unterwegs. Die Straßen dieser postapokalyptischen Welt waren diese Bezeichnung längst nicht mehr wert, und tektonische Verwerfungen zwangen ihn immer wieder zu Umwegen.
Xij Hamlet ging es täglich schlechter. Immer wieder blutete sie aus der Nase und wurde von schweren Hustenattacken gepeinigt. Sie war zwischenzeitlich so schwach geworden, dass sie viele Stunden Ruhe brauchte, wenn sie nur eine halbe auf den Beinen gewesen war. Dann dämmerte sie schweißgebadet in ihrer Koje vor sich hin, wälzte sich unruhig träumend hin und her und murmelte wirres Zeug.
Immer wieder legte Matt kleine Pausen ein, um nach ihr zu sehen und ihr wenigstens etwas zu trinken zu geben, denn essen mochte sie kaum noch. Selbst das ayveedische Mittel, das sie sich gemischt hatte, half nur noch wenig.
In Neuschwanstein hoffte Matt Hilfe für Xij zu finden. Er vermutete, dass die junge Frau an einer atomaren Verstrahlung litt; alles wies darauf hin. Seltsam war nur, dass Aruula, Rulfan und er selbst keinerlei Symptome zeigte, obwohl sie ebenfalls im Reaktor von Tschernobyl gewesen waren. [1]
Ein Daa’mure, der in seinem Kristall überlebt hatte, jedoch in der Reaktorwand feststeckte, hatte sich dort einen Herrschaftsbereich geschaffen und die Menschen gegen die Strahlung immunisiert – so auch die vier Gefährten, als sie mit Rulfans Luftschiff landen mussten. Nachdem sie den Daa’muren vernichtet und seine Sklaven befreit hatten, endete auch die Immunisierung. Doch Xij war die Einzige, die erkrankt war. Hing es vielleicht damit zusammen, dass sie dem Kristall am nächsten gekommen war, als sie ihn mit einem Schrei zersprengt hatte?
Oder lag es an dem Schrei selbst, einem Überbleibsel eines früheren, vielleicht tierischen Lebens, der sie nachhaltig schwächte? Als sie vor elf Tagen auch Mutter mit eben diesem Schrei pulverisiert hatte [2] , war es in der Folge zunehmend mit ihr bergab gegangen.
Matt wusste es nicht; er war kein Arzt. Aber wer konnte schon sagen, was diese unglaubliche Anstrengung Xij an Kraft gekostet und was sie für Immunreaktionen in ihrem Körper ausgelöst hatte?
Die Technos in Lübeck, die sie zuerst aufsuchten, hatten ihr nicht helfen können. Immerhin hatte Xij dort von einem gewissen Waltemahr erfahren, der vor einigen Jahren bei einer Atomkatastrophe in Hamburg verstrahlt und angeblich von einem »Zauberer in einem Märchenschloss weit im Süden« geheilt worden war.
Möglicherweise war damit Neuschwanstein gemeint, auch wenn es in Süddeutschland zahlreiche wunderschöne
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