308 - Ein Planet wird vermisst
um sich. Verstört strich sie sich die schwarzen Haare aus dem Gesicht.
»Das frage ich dich«, erklang eine vertraute Stimme neben ihr.
Endlich fand sie zu sich: Sie war zu Hause, in ihrem Bett, und es war Nacht. Kaum ein Licht fiel durch die dicke Scheibe, die vor der Kälte des nächtlichen Mars schützte. Hier oben, hoch über der Stadt, musste man auf den Balkon hinaus und nach unten auf die Stadt blicken, um Licht zu finden. Die Marsmonde waren viel zu klein, um allzu viel Helligkeit zu spenden, und die Sterne waren weit weg, nicht mehr als winzige Nadelstiche in einem pechschwarzen Tuch.
Trotzdem liebte Maya den Ausblick durch das Panoramafenster direkt vor ihrem Bett, denn sie hatte nie aufgehört, sich nach dem All zu sehnen. Obwohl sie kaum mehr Gelegenheit bekommen würde, noch einmal hinauszufliegen. Als führende Politikerin lenkte sie die Geschicke des aus Städtern und Waldleuten bestehenden, offiziell geeinten Volkes. Fragte sich nur, wie lange noch.
Vor allem: War es denn jemals geeint gewesen?
Kein Wunder, dass sie Albträume hatte.
»Entschuldige, Leto.« Sie wandte sich ihrem Ehemann zu, der im Bett neben ihr lag und sie aufmerksam beobachtete. »Habe ich geschrien?«
»Nein, du warst zu still. Völlig erstarrt. Ich kenne dich, das bedeutet nichts Gutes.«
Sie seufzte. »Ich hatte einen Albtraum.«
»Den üblichen?«
»Nein, diesmal war es ein ganz neuer. Scheußlich.« Sie schüttelte sich. »Es kommt mir so vor, als würde mein Ende nahen. ProMars wird sich letztlich durchsetzen, du wirst es sehen. Wie eine Hydra, deren Köpfe doppelt nachwachsen.«
»ProMars hat keine Chance. Und es sind Träume, keine Prophezeiungen.«
»Vielen Dank für den Hinweis, aber das beruhigt mich kaum. Seitdem die Organisation neue Führungskräfte bekommen hat, gewinnt sie wieder an Zulauf. Und an Einfluss. Es wird uns nicht gelingen, sie zum Schweigen zu bringen. Vor allem, da nur die Pressesprecher öffentlich auftreten und wir nicht wissen, wer jetzt am Ruder ist.«
»Hm.« Leto Jolar Angelis setzte sich auf. »Dann brauchen wir eben einen neuen Ansatz.«
Doch welchen? ProMars bezog sich in seiner Kritik auf die Zeit des Wiederaufbaus nach dem Superbeben, das marsianische Städte in Schutt und Asche gelegt und das Volk gezwungen hatte, wieder fast von vorn anzufangen. Gewiss auf sehr viel höherem Niveau als zu Beginn der Besiedelung durch die Gründer, aber nach Ansicht dieser politischen, regierungskritischen Organisation war viel zu wenig geschehen.
ProMars verwahrte sich strikt gegen außenpolitische Ambitionen, die sowohl die Erde als auch die dortige Mondstation betrafen. Die Organisation forderte gleichen Wohlstand für alle und keinerlei Einmischung mehr. Schon gar nicht aus dem eigenen Volk – den Waldleuten, die in Scharen in die Städte drängten und den Städtern die Arbeits- und Wohnplätze wegnahmen.
Das war haarsträubender Unsinn. Der Wiederaufbau war so gut wie abgeschlossen, die Gesellschaftsordnung wiederhergestellt, und die Waldleute blieben weiterhin lieber unter sich. Junge Leute waren es vorwiegend, die aus dem Wald in die Stadt kamen, um eine Ausbildung zu beginnen oder zu studieren. Nicht alle blieben, die meisten kehrten anschließend wieder zu ihrem Stamm zurück, um ihr Wissen dort anzuwenden.
Nicht einmal das gemeinsame Leid hatte etwas an der Spaltung des Volkes ändern können, wie Maya es erhofft hatte, und ProMars stocherte genau in der Wunde herum. Schürte die jahrhundertealten Vorbehalte und Ängste der Städter gegen die »Wurzelfresser«, die oftmals wegen ihrer angeblichen mentalen Verbundenheit zum Roten Vater, der Seele des Mars, als religiöse Spinner angesehen wurden. Und viele fürchteten eben diese empathischen Fähigkeiten der Waldleute, vor allem die Fähigkeit der Weltenwanderer, mit ihrem Geist in den Zeitstrahl der Alten einzutauchen.
Dadurch hatte ProMars eine gute Möglichkeit, einzuhaken: Der Strahl stellte schließlich eine Verbindung zur verhassten Erde dar.
Sicherlich war vielen Städtern klar, dass ProMars haltlos übertrieb, aber Gehör fanden die Verbreiter der Hetzparolen dennoch. Denn es gab genügend Unzufriedene, die keine Lust hatten, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, und die sich aufstacheln ließen. Und es gab genügend Paranoiker, die die Ansicht teilten, dass der Mars seine Identität verlor und sich der barbarischen Erde unterwarf, anstatt über sie zu triumphieren.
Einige Vorwürfe waren leider nicht von der Hand
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