31 - Und Friede auf Erden
Aus seiner letzten Frage aber sprach der Schalk. Ohne dies zu bemerken, antwortete der Missionar:
„Ich bin noch nicht in China gewesen und reise jetzt zum ersten Mal hin.“
„So haben Sie sich diesen Dialekt auf einer Universität der Vereinigten Staaten angeeignet?“
„Nein, sondern auf eine viel leichtere und bequemere Art. Sie wissen wahrscheinlich wohl, daß wir Amerikaner praktisch sind, und es ist Ihnen auch nicht unbekannt, daß sehr viele Chinesen, fast mehr, als uns lieb ist, in unseren Staaten wohnen. In meinem Haus waren zwei beschäftigt, der eine als Wäscher und der andere als Barbier. Der Wäscher stammte aus Nord- und der Barbier aus Südchina, und da ich nicht wünschte, in Beziehung auf die Sprache einseitig ausgebildet zu sein, habe ich von beiden Unterricht genommen.“
Hierauf trat eine momentane Stille, ja, eine Mäuschenstille ein. Die Gesichtszüge der Chinesen blieben vollständig unbewegt; aber Mary errötete bis an die Stirn hinauf. Sie ahnte wohl, wie unsterblich sich ihr Vater soeben blamiert hatte; dieser aber wandte sich ganz heiter und unbefangen dem Kellner zu, welcher ihm jetzt den nach der Suppe folgenden Gang servierte.
„Sie sind also Missionar, wie ich auf Ihrer Karte gelesen habe?“ fragte Fu nach einer Weile.
„Allerdings“, antwortete der Gefragte. „Ich hoffe, daß Sie wissen, was das heißt!“
„Das heißt, Sie kommen zu uns, um unsere Religion zu studieren und sie dann in den Vereinigten Staaten zu verbreiten?“
Da legte Waller – denn dies war allerdings der Name des Missionars – schnell das Messer und die Gabel weg, warf einen Blick der Überraschung auf den Sprecher und antwortete:
„Ich gestehe, daß ich noch nie in meinem Leben eine so unbegreifliche Frage gehört habe! Ich bin ein Christ und habe also denjenigen Glauben, welcher der einzig wahre und richtige ist. Sie aber, der Sie sehr wahrscheinlich Konfuzianer sind, sollten dem ihrigen, der ein falscher ist, entsagen und sich entschließen, ein Christ zu werden!“
„Ich bin ja Christ“, antwortete der Chinese, indem über sein Gesicht ein ungemein höfliches, ja verbindliches Lächeln glitt.
„Sie – sind – – – Christ – – –?!“ wiederholte der Amerikaner die Worte des andern mit dem Ausdruck des Erstaunens. „So sind Sie also schon bekehrt?“
„Bekehrt? O nein! Wozu das? Eine Änderung des Glaubens würde vollständig überflüssig sein. Wer etwas tut, was gar nicht nötig ist, der verdient, ein Tor genannt zu werden.“
„Ich verstehe Sie nicht. Sie sind nicht bekehrt, also noch Konfuzianer, und behaupten doch, ein Christ zu sein. Wollen sie mir dieses Rätsel lösen!“
„Es ist kein Rätsel, sondern eine Sache, welche in China jedermann schon längst begriffen hat. Ich bitte Sie, mir die Summe des christlichen Glaubens zu nennen!“
Mr. Waller setzte sich auf seinem Stuhl zurecht und begann zunächst, vom Sündenfall zu sprechen. Währenddessen brachte der Kellner den Chinesen die Suppe. Fu wies sie mit der kurzen Bemerkung zurück, daß er mit seinem Begleiter später oben im Zimmer speisen würde. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit dem Yankee wieder zu. Er ließ ihn eine lange, lange Zeit sprechen, ohne ihn zu unterbrechen, und erst dann, als sich nach der Verheißung Abrahams eine Pause einstellte, sagte er:
„Ich bat Sie nicht um eine ausführliche Geschichte, sondern um die kurze Summierung Ihres Glaubens!“
„Aber Sie kennen doch unseren Glauben nicht; Sie würden mich also nicht verstehen, wenn ich Ihnen anstatt seiner ganzen Entwicklung nur eine kurze Aphorisme brächte!“
„O bitte! Was deutlich ist, kann vielleicht auch wohl von einem Chinesen begriffen werden. Christus ist der Gründer Ihres Glaubens, und Petrus wurde mir als derjenige Apostel bezeichnet, welchem die größte Macht des Christentums, das Amt der Schlüssel, übergeben wurde; Sie werden also das, was diese beiden sagen, anerkennen. Christus gibt uns die Summe im Evangelium Johannes, wo er sagt, daß das ganze Gesetz und die Propheten in dem Gebot enthalten seien: Liebe Gott und liebe deinen Nächsten! Und Petrus befiehlt in seinem ersten Brief: ‚Fürchtet Gott; habt die Brüder lieb, und ehret alle Menschen!‘ Das ist es, was ich von Ihnen hören wollte.“
Es war interessant, jetzt das Gesicht Wallers zu sehen. Das Erstaunen über die unerwartete Belesenheit des Chinesen lag nicht nur in seinen Zügen, sondern auch in seiner ganzen Haltung deutlich
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