320 - Die Schlacht von Dapur
Ich meine, wo sind wir gerade?«
»In Retjenu. So hieß das Gebiet von Palästina und Syrien in der Sprache der alten Ägypter. Retjenu war Grenzgebiet zwischen dem ägyptischen und dem Hethiterreich und für Jahrzehnte heiß umkämpft. Nach der Schlacht von Kadesch, bei der Ramses nur mit sehr viel Glück der totalen Vernichtung seiner Divisionen durch die Hethiter – oder Chattim, wie sie damals genannt wurden – entgangen war, gab es in der hethitischen Hauptstadt Hattuscha einen Regierungswechsel. Ein gewisser Hattuschili kam an die Macht, hatte aber zunächst innenpolitische Probleme, denn er ließ Ramses in Retjenu machen. Der Pharao war ein schlauer Fuchs, der genau das vorausgesehen hatte. Nachdem Dapur gefallen war, haben die Chattim aber wieder zurückgeschlagen und keines der Großreiche konnte sich einen entscheidenden Vorteil erkämpfen. Deswegen haben Ramses und Hattuschili 1259 vor Christus einen Friedensvertrag geschlossen.«
»Hing der nicht als ältester bekannter Friedensvertrag der Welt im New Yorker UN-Gebäude?«, erinnerte sich Matt. »Aber was sehr viel interessanter ist: Nefertari lebt zu dieser Zeit!«
Xij schaute ihn fragend an. »Und was hilft uns das?«
»Du kannst es nicht wissen«, erwiderte Matt. »Das war vor der Zeit, als du mit uns zusammengetroffen bist.«
»Ja... und?«
»Wir – Aruula und ich – haben Nefertari kennengelernt. Als hydritische Geistwanderin mit Namen E’fah!«
Xij fiel der Unterkiefer herab. »E’fah... war Nefertari?«
Matt nickte. Xij hatte die Hydritin in Gilam’esh’gad kennen gelernt. Er blickte kurz zu Grao hinüber. »Nachdem dieser Daa’mure dort Aruula in einer Pyramide eingesperrt hatte, befreite sie zufällig E’fahs Geist, der die Jahrtausende in einem Skarabäus überstanden hatte.« [3]
Wenn Grao’sil’aana die Anschuldigung registriert hatte, ließ er sich nichts anmerken. »Darum also ist die Barbarin wieder aufgetaucht«, brummte er nur. »Ich hatte mich schon gefragt, wie sie entkommen konnte.«
»E’fah hat damals Aruulas Körper übernommen«, klärte Matt ihn und Xij auf, »und wollte ihn ganz für sich. Glücklicherweise hat sie sich an Aruulas Geist die Zähne ausgebissen.« Noch einmal bedachte er den Daa’muren mit einem bösen Blick. »Glück für dich, Grao.«
»Und wie hat Aruula es geschafft, sich von ihr zu befreien?«, wollte Xij wissen.
»E’fah gab sie frei, nachdem sie von Gilam’esh geläutert wurde«, sagte Matt. »Du weißt ja, dass sie heute bei ihm in Gilam’esh’gad lebt.«
Grao’sil’aana winkte ab. »Verschont mich mit diesen ganzen Hydritennamen! Es ist ohnehin egal. Diese Nefertari lebt in Ägypten und wir sitzen hier fest und warten auf unsere Hinrichtung. Wir sollten zusehen, dass wir bis morgen früh in den Raum mit der Zeitblase kommen und uns dort bis zum nächsten Beben verbarrikadieren.«
Matt grinste. »Und du hast sicher schon eine Idee, wie wir hier rauskommen, oder?«
Der Daa’mure verwandelte ganz kurz seinen menschlichen Arm in den einer Echse und fuhr die Krallen aus.
»War das jetzt ein Ja?«, fragte Xij.
»War es.« Grao’sil’aana verwandelte den Arm zurück. »Aber warten wir lieber die Nacht ab. Ich allein würde es auch jetzt bis in die Kammer schaffen, aber ich muss ja auf euch zerbrechliche Menschlein Rücksicht nehmen.«
Die Stunden vergingen nur zäh. Matt nutzte die Zeit, um Xij weitere Einzelheiten über E’fah zu erzählen, die als Nefertari an Ramses’ Seite über Ägypten herrschte.
Auch nachdem die Sonne versunken war, ging der Betrieb auf dem Truppenübungsplatz, jetzt bei Fackelbeleuchtung, unvermindert weiter. Zudem zog eisige Kälte durch die Schießscharte. Ab und zu hörten sie die Beschwörungsformeln der Hofzauberer, die die Dämonen bannen sollten. Zu essen und zu trinken bekamen sie nichts. Warum auch – Höllenwesen würden kaum Nahrung benötigen.
Gegen Mitternacht machte sich Grao ans Werk. Zuerst verwandelte er sich in seine Echsengestalt zurück, machte sich dabei immer flacher und bildete Saugnäpfe an seinen Händen und Füßen aus. Matt und Xij bekamen in der Finsternis, die nur durch das Licht des halben Mondes erhellt wurde, kaum etwas davon mit.
Sie sahen, wie sich Grao problemlos durch die schmale Fensteröffnung schob und sich dabei umdrehte. Draußen setzte er die Saugnäpfe auf die Steinmauer und zog sich vollends aus der Öffnung. Nun hing er frei an der Außenwand, über einem rund zwanzig Meter tiefen Abgrund, denn die
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