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322 - Götterdämmerung

322 - Götterdämmerung

Titel: 322 - Götterdämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mia Zorn
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suchte Glymjandi nach einem Schlitz, um zu sehen, wie weit das Todesritual gediehen war, doch nirgends fand er auch nur die kleinste Öffnung. Auf allen Vieren kroch er um das Zelt.
    Drinnen forderte Widdas schrille Stimme die Sklavin auf, die Worte zu sagen. »Ich kann nicht«, erwiderte Dimmbrá. »Macht endlich ein Ende. Genug ist genug.«
    Nicht aufgeben! Nein! Endlich fand Glymjandi eine Öffnung im Zeltstoff. Hastig kroch er näher heran und brachte ein Auge auf Höhe des Risses.
    Auf der gegenüberliegenden Seite des Zeltinnenraums erblickte er die aufgebahrten Toten. Im Vordergrund stand Dimmbrá – nackt, wie die Götter sie geschaffen hatten. Sie zitterte am ganzen Körper und ein Strick lag um ihren Hals. Dicht hinter ihr stand der halbbekleidete Hamskarpur. Ihnen gegenüber saß eine alte Frau mit aschegepudertem Gesicht: Widda. Schmallippig forderte sie nun Hamskarpur auf, die Frau hochzuheben. Der gehorchte, umschlang die Beine der Sklavin in Schenkelhöhe und stemmte sie nach oben. »Nun sprich die Worte!«, rief die Alte.
    »Schaut her, ich sehe meinen Vater und meine Mutter«, sagte Dimmbrá mit dünner Stimme.
    Hamskarpur setzte sie ab und hob sie wieder hoch. »Ich sehe meine verstorbenen Eltern.« Während die schöne Sklavin redete, begriff Glymjandi, dass sie sich schon am Ende der Zeremonie befanden. Und als sich der Vorgang zum dritten Mal wiederholte, konnte er sich nicht länger zurückhalten. Er sprang er auf und rannte um das Zelt herum zum Eingang. »Ich sehe meinen Herrn im Paradies«, hörte er von drinnen Dimmbrás zittrige Stimme. »Das Paradies ist schön und vollkommen grün. Bei ihm befinden sich andere Sklaven. Er ruft nach mir. Bringt mich zu ihm!«
    Bei den letzten Worten der Sklavin stürzte der Zwerg in das Zelt. »Nein«, brüllte er. »Nein, nicht tun! Böse! Ist falsch!« Er zog seinen Dolch unter dem Mantel hervor und rannte zu Widda. Doch bevor er sie auf seinen kurzen Beinen erreichen konnte, zerrte Hamskarpur an dem Strick, der um Dimmbrás Hals lag.
    Sie röchelte, dass es Glymjandi durch Mark und Bein ging. Erst als er abrupt stehen blieb, lockerte der Häuptling den Zug des Stricks.
    »Du, Glymjandi?«, fragte Widda, und in ihrer Stimme schwangen Enttäuschung und Abscheu mit. »Du willst mich angreifen? Welche Schlange habe ich an meinem Busen genährt?«
    Der Zwerg wand sich wie unter körperlichen Qualen. Er reckte Widda den Dolch entgegen. »Dimmbrá nicht töten, hörst du?«, flehte er. »Guter Glymjandi lässt das nicht zu!«
    »Nur zu!«, entgegnete die Seherin ungerührt. »Dann komm und greif mich an. Aber ich glaube nicht, dass du es fertigbringst.« Damit stand sie auf, griff nach einem Becher, der auf einem Tischchen neben ihr stand, und näherte sich Dimmbrá.
    »Berauschendes Getränk«, flüsterte Glymjandi heiser. »Böses Getränk! Macht leer!« Er wollte vorwärts stürmen, aber seine Beine waren wie gelähmt.
    »Ah, du kennst dich also aus mit dem Ritual.« Widda stand nun vor Dimmbrá und flößte ihr den Inhalt des Bechers ein. Auf der anderen Seite zog sich Hamskarpur mit steinerner Miene in den Hintergrund zurück.
    Glymjandi sah tatenlos zu. Er fühlte sich wie im Fieber. Er wollte die Seherin zur Seite stoßen, doch seine Glieder gehorchten ihm nicht. Verzweifelt sah er zu Dimmbrá. Doch als er ihrem Blick begegnete, fand er darin nur noch Leere.
    Ginnungagap! Das gähnende, lautlose Nichts.
    Und dann erst entdeckte er das Messer in der Hand der Alten. Ohne den Hauch einer Chance, noch eingreifen zu können, musste er mit ansehen, wie die Seherin es Dimmbrá in die Brust stieß. Einmal. Zweimal.
    »Nein!« Der Bann brach. Brüllend stürzte sich Glymjandi auf die Alte.
    Die reagierte blitzschnell. Packte ihn bei den Haaren und hielt ihm das Messer an die Kehle. »Du kennst dich aus mit dem Ritual, mein kleiner Glymjandi. Dann weißt du ja, was mit dir geschehen muss, weil du die Zeremonie gestört hast.«
    »Nein«, flüsterte der Kleinwüchsige. Mit brennenden Augen starrte er auf die Geliebte, die zu Boden gesunken war. Ein Blutfaden rann aus ihrem Mundwinkel, ein Strom aus Blut aus ihrer Brust. »Nein, nein, nein...« Und dann, ungeachtet der Klinge an seiner Kehle, riss er seinen eigenen Dolch nach oben. Mit einem schnellen Schnitt durchtrennte er die Sehnen im Handgelenk der Seherin. Ihr Messer fiel. Und Sekunden später sie selbst, als Glymjandi ihre Verblüffung ausnutzte, nach vorne sprang und ihr den Dolch in die Seite

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