322 - Götterdämmerung
Dimmbrá«, jammerte er.
Dimmbrá? Was will die hier? Argwöhnisch betrat Xij das Haus. Efsturs Sklavin erwartete sie vor dem Kamin in der Wohnküche. Verlegen lächelnd hob sie ein smaragdgrünes Kleid in die Höhe. »Für dich«, sagte sie in ihrer Sprache. Während Xij sich noch fragte, was sie mit einem Kleid anfangen sollte, kam die schöne Rothaarige schnell herbei und stellte sich in Xijs Rücken. Beide Arme um deren Schulter gelegt, hielt sie das Gewand an Hamlets Brust. »Vielleicht suchst du dir ja einen Gefährten heut Nacht«, gurrte sie mit ihrer rauen Stimme. »Oder eine Gefährtin...?«
Als Dimmbrá schon lange gegangen war, stand Xij Hamlet immer noch wie vom Donner gerührt vor dem Kamin, das Kleid in ihren zitternden Händen. Als Dimmbrá sie berührte, hatten sich die Nebel um ihren Geist mit einem Schlag gelüftet. Ihre Identität von einst war kein Geheimnis mehr.
Dimmbrá! Sie war keine Wikingerin, sondern eine angelsächsische Sklavin. Eine Frau, die alles dafür tun würde, dieser normannischen Eiswüste zu entkommen.
Und während Xij sich noch fragte, ob dieser Umstand gefährlich für ihre Gefährten werden könnte und wie Dimmbrá es all die Jahre geschafft hatte, ihre Herkunft vor Gauti geheim zu halten, überrollten sie die Erinnerungen an die Vergangenheit der Frau, die sie einst gewesen war. Doch keine Einzige davon gab ihr Aufschluss über zukünftige Ereignisse. So wie sie auch Dimmbrás Ende immer noch nicht erkennen konnte.
Xij erinnerte sich nicht daran, schon einmal sich selbst in einer früheren Inkarnation begegnet zu sein, besaß also auch keine Erfahrungswerte. Lag die Zukunft der Sklavin deshalb im Dunkeln, damit sie selbst keinen Einfluss darauf nehmen konnte?
So musste es sein! Ansonsten hätte sie Dimmbrás Leben und damit ihre eigene Zukunft verändern können.
Die Zeit schützte sich selbst!
***
Am Abend versammelten sich die Bewohner von Jotunheimen auf dem Platz vor der Halle des Friedens. Die Frauen hatten ihr Festtagsgewand angelegt und die Männer ihr prächtigstes Rüstzeug. Ein Dutzend Opferpflöcke waren aufgestellt, an denen Ziegen und Rinder aufgespießt waren. Und rund um den Platz ragten unzählige Holztafeln aus der Erde, auf denen in Runen die Namen toter Krieger standen.
Der Götländer goss aus einem Krug Blut vor die Pforte der Halle. Da die Seherin nicht aufgetaucht war, hatte er es übernommen, die heiligen Rituale durchzuführen. So sprach auch er nun die Worte, die die Feierlichkeit eröffneten.
»Als die Götter in die Welt traten, töteten sie den Riesen Ymir. Aus seinem Leib schufen sie die Welt. Aus seinem Blut entstanden das Meer und die Ströme, aus seinem Fleisch das Land, aus seinen Knochen die Gebirge. Aus dem Schädel Ymirs formten sie das Himmelsgewölbe, auf das sich die Feuerfunken Muspelheims setzten, die zu Sternen wurden. Das unter diesen Himmel liegende Midgard sollte von Menschen bewohnt sein. Und als die Götter am Meeresufer entlang gingen, fanden sie zwei Baumstämme, eine Esche und eine Ulme. Aus der Esche erschufen sie den Mann, aus der Ulme die Frau. Von Odin bekamen sie den Lebensatem eingehaucht, von Wili den Verstand, von Wé Sinneswahrnehmung und Sprache. Schöpfung, Kampf und Untergang ist das Leben. Und Neubeginn, wenn wir am Ende aller Dinge an der Seite der Götter gegen die Riesen kämpfen werden. So folgt nun eurer Bestimmung!« Damit erhob Gauti das Trinkhorn.
»Heil Odin!«, riefen die Jotunheimener und die Krieger lärmten mit ihren Waffen. Singend zogen sie in die Halle des Friedens ein und aßen, tranken und tanzten bis Mitternacht. Dann erhob sich Efstur und forderte die Leute auf, sich der Wilden Jagd würdig zu erweisen. Unter den Jubelrufen seines Volkes verließ er mit seiner Hauptfrau Frega die Halle, um mit ihr die Nacht im Zelt vor den Stadttoren zu verbringen. Viele folgten ihnen. Allerdings schlugen sie den Weg zu ihren Häusern und Hütten ein. Andere gaben sich gleich unter den Tischen der Halle einander hin.
Das war der Zeitpunkt, zu dem auch Matt Drax sich auf den Weg machte. Gauti begleitete ihn nicht. Eine schöne Wikingerin auf dem Schoß, hatte er Matt wissen lassen, dass er und Xij diese Nacht alleine in seiner Hütte verbringen könnten.
Dieses Angebot löste widersprüchliche Gefühle in Matt aus. Angeheitert vom Met und angesteckt von der Euphorie der Menschen hier verspürte er Sehnsucht nach dem warmen Körper seiner Gefährtin. Andererseits dachte er an das, was morgen sein
Weitere Kostenlose Bücher