36 - Das Vermächtnis des Inka
wiedererkannt. Ich habe ihn nicht nur heute mit dem Auge, sondern schon vorher mit dem Ohr erkannt. Ich kenne nicht nur seine Gestalt, sondern auch seine Stimme. Als wir uns zuerst da unten am Rio Salado trafen und eine Stunde später die beiden, die wir heute vom Tod errettet haben, aus der Hand der Aripones befreiten, da hörte ich eine laute, befehlende Stimme. Ihr Klang machte, daß ich mitten in der größten Eile halten blieb; aber wir hatten Wald zur Rechten und zur Linken, wodurch die Stimme eine andere Klangfarbe erhielt. Dennoch war es mir dann immer, als ob derjenige, dem sie gehörte, der Mann sei, den ich so lange vergeblich gesucht habe. Es war der Gambusino, und heute, da ich ihn gesehen habe, weiß ich genau, daß mein damaliger Gedanke begründet war.“
„Er ist ein Feind von Ihnen?“
„Mein größter Feind, aber ich bin auch der seinige. Ich habe eine Rechnung mit ihm auszugleichen, und die Quittung wird mit Blut geschrieben – morgen schon, wie ich hoffe!“
„Es ist also Blut gegen Blut?“
„Ja. Er hat meinen Bruder ermordet droben im Norden. Wie das geschehen ist, das will ich jetzt nicht erzählen. Es war entsetzlich, so entsetzlich, daß mir das Haar darüber weiß geworden ist. Ich verfolgte ihn; ich erfuhr, daß er sich nach Südamerika gewendet hatte. Argentinien war seine Heimat. Ich kam hierher, um ihn zu suchen. Ich durchritt das Land; ich befuhr alle Flüsse; ich überkletterte alle Berge, ohne ihn zu treffen, heute aber habe ich ihn, und nun soll er mir nicht wieder aus dem Auge kommen, als bis ich fertig mit ihm geworden bin.“
„So nehmen Sie den einen, und ich nehme den anderen!“
„Wen?“
„Den Stierkämpfer. Ich werde ihn nach dem Skalp fragen, den er dem Leutnant Verano gezeigt hat. Meinen Sie, Señor, daß die beiden morgen in unsere Hände geraten?“
„Ich bin überzeugt davon. Laß mir jetzt meine Gedanken! Wenn man an solche vergangene Stunden denkt, läßt man sich nicht gern von der Gegenwart stören.“
FÜNFZEHNTES KAPITEL
Des Stierkämpfers Geheimnis
Am Sumpf waren die Feuer ausgegangen; die Roten und die Weißen schliefen, weil morgen mit dem frühesten aufgebrochen werden sollte. Ein Wächter stand bei den Pferden; aber er war es doch nicht allein, welcher wachte, sondern es gab außer ihm noch drei, welche von dem Schlaf nichts wissen wollten, nämlich der Gambusino, der Stierfechter und der Kapitän Pellejo.
Dieser letztere stand zu den beiden anderen in ganz demselben Verhältnis, in welchem sich der Leutnant Verano dem Vater Jaguar gegenüber fühlte: Er war Offizier; die beiden anderen waren nicht Militärs, und so glaubte er höher zu stehen als sie, wenigstens in Beziehung auf die Angelegenheit, in welcher sie sich jetzt im Gran Chaco befanden. Er war während der letzten Zeit oft mit ihnen in Streit geraten und hatte immer nachgeben müssen, weil der Einfluß des Gambusino auf die Aripones größer als der seinige war. Das hatte ihn tief verdrossen und mißtrauisch gemacht. Er begann die beiden, welche nachgerade Gehorsam von ihm verlangten, zu beobachten, und da bemerkte er denn Verschiedenes, was ihm auffiel. Er verglich dieses mit jenem, eins ihrer Worte mit dem anderen und kam schließlich zu dem Verdacht, daß sie es nicht ehrlich mit dem gegenwärtigen Unternehmen meinten. Er zog sich von ihnen zurück; sie bemerkten das und vergalten ihm seinen Verdacht mit dem ihrigen. Sie hörten auf, ihn bei ihren Beratungen zu fragen; sie wichen seinen Ansichten und Vorschlägen aus und hatten immer miteinander heimlich zu tun, wobei er bemerkte, daß ihre Augen auf ihm ruhten. Darum begann er sich unsicher zu fühlen und beschloß, endlich ein klares, offenes Wort mit ihnen zu reden.
Heute, als die beiden Gefangenen von dem Baum verschwunden waren und man den Lagerplatz wieder aufgesucht hatte, saß er bei den Soldaten, welche sich am Palmensee zusammengefunden hatten und für deren Anführer er sich hielt. Sie waren alle beritten. Da trat der Gambusino mit Perillo zu ihnen und sagte: „Señor Kapitän, wir werden morgen das große Dorf der Cambas erreichen und sofort angreifen; ich werde Ihnen jetzt Ihre Instruktion erteilen.“
„Meine Instruktion?“ fragte Pellejo verwundert. „Eine Instruktion hat man doch nur von dem Vorgesetzten entgegenzunehmen!“
„Sie meinen nicht, daß ich der Ihrige bin?“
„Nein.“
„Wer hat da wohl den Befehl über die Krieger, welche wir bei uns haben, zu führen?“
„Eigentlich ich, da ich
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