36 - Das Vermächtnis des Inka
bleibt jetzt an Ihrem Leib!“
Er meinte damit nicht den seinigen, den er schon losgebunden hatte, sondern denjenigen, an welchem der Doktor gehangen hatte. Jetzt wieder eine Schlinge legend, warf er sie dem Diener um den Leib, worauf Fritze ganz in derselben Weise herunter- und herübergeholt wurde. Darauf sagte er: „Man muß denken, daß ihr von den Krokodilen herabgerissen und verzehrt worden seid; darum darf ich euch nicht losbinden und auch nicht losschneiden, sondern ich muß die Lassos so entzweimachen, daß es scheint, als ob sie abgerissen worden seien.“
Er sägte nahe an den Körpern der Geretteten die Riemen in der Weise auseinander, daß er sie mit der Messerschneide auf schabte und dann alles zerriß. Dann wurden sie wieder an den Baumstamm befestigt, wie sie vorher an denselben gebunden gewesen waren. Die abgerissenen Enden hingen nun ganz in der Weise von den Ästen über dem Wasser herab, daß es genau so aussah, als ob diejenigen, welche daran gehangen hatten, von den Krokodilen herabgezerrt worden seien.
Dies war weit schneller geschehen, als man es beschreiben kann, und während es geschah, hatte der Vater Jaguar auch ein sehr scharfes Auge mit auf das Lager gehabt. Dort fiel es jetzt keinem Menschen ein, sich um die Gefangenen zu kümmern. Man war mit dem Essen beschäftigt, und erst als dies vorüber war, bemerkte man zufällig, daß das Feuer unter dem Baum nicht mehr brannte. Der Gambusino schickte einen Mann hin, um es von neuem anzuzünden; kaum aber hatte dieser den ihm gewordenen Befehl erfüllt, so kam er eiligst herbeigelaufen und meldete: „Señores, denken Sie sich, was geschehen ist! Die Krokodile haben unsere Gefangenen gefressen!“
Niemand wollte dieses glauben, und als der Mann es wiederholte, sprangen alle auf, um, die Weißen natürlich voran, sich zu überzeugen, ob es wahr sei. An Ort und Stelle angekommen, sah man beim Schein des wieder brennenden Feuers die beiden Lassoenden von den Ästen hängen. Darunter lagen die Krokodile und glotzten mit stieren Blicken nach dem Ufer hin.
„Wahrhaftig, sie sind weg, sind fort!“ rief Antonio Perillo, der Stierkämpfer. „Wer hätte das gedacht? Wie kann des geschehen sein?“
„Die Krokodile sind doch jedenfalls hoch genug gesprungen, um sie fassen zu können“, antwortete der Kapitän Pellejo.
„Schwerlich!“ meinte der Gambusino. „So hoch, wie diese Kerls hingen, kann sich kein Krokodil in die Höhe schnellen. Sollte sich jemand hier befunden haben, der sie abgeschnitten hat?“
„Abschneiden? Wer konnte so weit hinüberlangen?“
„Hm! Das ist wahr. Zieht doch einmal die Lassos von den Ästen herunter! Wir werden gleich sehen, ob es mit dem Messer geschehen ist.“
Man holte die Enden herab und unterwarf sie einer sehr genauen Untersuchung. Der Vater Jaguar hatte seine Sache ausgezeichnet gemacht, denn die Ansicht aller ohne Ausnahme ging dahin, daß die Lassos zerrissen worden seien.
„So sind diese Tiere doch so hoch gesprungen!“ meinte der Gambusino. „Sie müssen großen Hunger gehabt haben. Und geschmeckt hat es ihnen jedenfalls ausgezeichnet, denn sie liegen da, als ob sie noch mehr haben wollten. Nun, so oder so, wir sind die Feinde los; sie haben ihren Lohn!“
„Was das betrifft“, sagte Perillo ärgerlich, „so freue ich mich keineswegs darüber, daß das gar so schnell gegangen ist. Sie sollten länger hängen, viel länger! Und ich wollte dabeisein, wenn sie zerrissen wurden! Wäre das Feuer nicht ausgegangen, so hätten sich die Bestien mehr gescheut und wären nicht so zudringlich geworden. Das hätte ich bedenken sollen!“
Dieser gewissenlose Mensch ging wirklich ganz enttäuscht von dannen, und die anderen folgten ihm in der festen Überzeugung, daß die beiden Gefangenen in Wirklichkeit von den Krokodilen zerfleischt und verschlungen worden seien.
Diese letzteren waren indessen von ihren beiden Befreiern nicht durch das Schilf, denn das war jetzt bei der Dunkelheit gar nicht nötig, sondern im Gegenteil sehr gefährlich, sondern um den Sumpf herum nach der Stelle geführt worden, an welcher der Inka auf sie wartete. Als dieser sie kommen sah, sagte er: „Endlich, Señores! Da ich so lange Zeit warten mußte, befürchtete ich schon, daß es sehr schlimm stehe. Nun freut es mich doppelt, zu sehen, daß die Rettung gelungen ist.“
Die Befreiten hatten bis jetzt geschwiegen; nun aber meinte der Doktor, indem er tief Atem holte, in deutscher Sprache zu dem Vater Jaguar: „Sie
Weitere Kostenlose Bücher