37 - Satan und Ischariot I
kein Körnchen mehr befindet. Ich sage dir, ich, Winnetou, daß du selbst deinen Kriegern den Befehl geben wirst, sich nicht gegen uns zu wehren!“
„Nie!“
„Nie? Schon wenn der Tag graut, wirst du es tun. Ich weiß das so genau, daß ich das, was ich mit meinem Bruder Old Shatterhand jetzt noch zu sprechen habe, nicht heimlich zu ihm sage. Du magst es hören.“
Sich zu mir wendend, fuhr er fort:
„Wer soll mit den beiden Gefangenen zu unseren Freunden reiten, um sie zu holen? Einer von uns muß hierbleiben um die Yumas zu beobachten und die Umgebung ihres Lagers noch genauer, als wir es vorhin konnten, zu erkundschaften.“
„Winnetou mag bestimmen“, antwortete ich.
„So bleibe ich, und du reitest. Bei eurer Rückkehr wirst du mich an dieser Stelle wiederfinden. Die Gefangenen werden sich auf mein Pferd setzen und sich auf demselben festbinden lassen. Jeden Versuch der Gegenwehr würden wir mit unseren Messern beantworten.“
Ich holte unsere Pferde herbei. Die beiden Yumas sahen ein, daß sie sich fügen mußten. Selbst der Gedanke, um Hilfe zu rufen, konnte ihnen nicht beikommen, da wir so weit entfernt von ihrem Lager waren, daß man selbst das lauteste Gebrüll dort nicht gehört hätte.
Der ‚Große Mund‘ mußte Winnetous Pferd besteigen und wurde dort festgeschnürt. Der andere stieg hinter ihm auf und wurde mit ihm zusammengebunden. Dann wurden ihre Füße unter dem Bauch des Pferdes mit ihren eigenen Lassos in der Weise festgebunden, daß je ein rechter oder linker Fuß des Häuptlings mit dem linken oder rechten seines Untergebenen zusammengefesselt war. Auf diese Weise war dafür gesorgt, daß sie selbst beim unvorhergesehenen Eintritt des günstigsten Zufalls nicht loskommen konnten. Selbst in dem Fall, daß es ihnen gelungen wäre, ihre Oberkörper und Arme freizumachen, hätten sie noch unten mit den Füßen in der Weise fest zusammengehangen, daß sie nicht aus dem Sattel und vom Pferd herabkonnten. Ich nahm das Pferd beim Zügel, bestieg das meinige und ritt davon, in östlicher Richtung natürlich, da sich nach dieser die Mimbrenjos befanden.
Da ich keine Zeit verlieren wollte, ritt ich Galopp und konnte das sehr wohl, weil der Mond den Weg, den ich einzuschlagen hatte, beleuchtete. Die Gefangenen verhielten sich lange schweigsam; dann aber konnte der Häuptling die wichtige Frage, welche ihm auf den Lippen lag, nicht länger zurückhalten:
„Wer sind die Männer, zu denen Old Shatterhand reitet?“
„Meine Freunde“, antwortete ich kurz.
„Um das zu wissen, brauchte ich nicht zu fragen. Ich wollte erfahren, ob sie Bleichgesichter oder rote Männer sind.“
„Rote.“
„Von welchem Stamme?“
„Mimbrenjos.“
„Uff!“ rief er erschrocken aus. „Wurden sie von Winnetou angeführt?“
„Nein. Er befindet sich nur als Gast bei ihnen.“
„Wer ist denn der Häuptling?“
Es wäre mir sonst gewiß nicht beigekommen, ihm Auskunft zu erteilen; in diesem Fall aber hatte ich Grund, es zu tun, denn ich wußte ja, daß er mit dem ‚Starken Büffel‘ verfeindet war und der Name desselben ihm also die Hoffnung, welche er vielleicht noch hegte, nehmen mußte. Darum antwortete ich bereitwillig:
„Nalgu Mokaschi.“
„Uff! Der ‚Starke Büffel‘! Muß es doch gerade dieser sein!“
„Du erschrickst? Weißt du nicht, daß ein Krieger vor keiner Gefahr und vor keinem Menschen erschrecken darf?“
„Ich erschrecke nicht!“ versicherte er in stolzem Ton. „Der ‚Starke Büffel‘ ist mein ärgster Feind. Wie viele Krieger hat er bei sich?“
„Weit mehr als du.“
„Ich weiß, daß er meinen Tod verlangen wird. Wirst du mich beschützen?“
„Ich? Deine Frage ist die eines Unsinnigen. Du wolltest mich am Marterpfahl sterben lassen, und nun fragst du mich, ob ich dich beschützen werde! Hätte ich mich nicht selbst befreit, du hättest mich auf keinen Fall losgelassen.“
„Nein. Aber ich habe dich gut behandelt. Du hast weder gehungert noch gedürstet, während du dich in meiner Gewalt befandest. Mußt du mir dafür nicht dankbar sein?“
„Wer kann sagen, daß Old Shatterhand undankbar gewesen sei!“
„So rechne auch ich auf deine Dankbarkeit.“
„Das sollst du auch. Ich bin bereit, ganz dasselbe für dich zu tun, was du für mich getan hast.“
„Was meinst du mit diesen Worten?“
„Der ‚Starke Büffel‘ wird deinen Tod fordern; er wird dich nach den Wigwams der Mimbrenjos schaffen, wo du den Tod am Marterpfahl erleiden
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