37 - Satan und Ischariot I
ein Mormone, und dies um so wahrscheinlicher, als er sich nicht der hier gebräuchlichen spanischen, sondern der englischen Sprache bedient hatte. Sodann war er von Melton gefragt worden, ‚ob sein Junge ihn getroffen habe‘. Unter diesem Jungen war jedenfalls Weller, der Kajütenwärter unseres Schiffes, gemeint. Als ich diesen mit dem Mormonen im Deckzelt belauschte, hatte er davon gesprochen, daß sein Vater längst zu den Indianern aufgebrochen sei. Und jetzt steckte ein Indianerhäuptling mit in den Büschen! Die heutige Zusammenkunft war jedenfalls längst vorher verabredet und festgesetzt worden. Der junge Welle war nach unserer Landung von Bord gegangen und hatte, natürlich viel schneller als wir hatten reisen können, seinen Vater aufgesucht, um ihm zu melden, daß die Emigranten unterwegs seien und er sich also nun zu der verabredeten Zusammenkunft einzufinden habe. Ganz gewiß waren jetzt der alte Weller, Melton und ein Indianerhäuptling beisammen; vielleicht war auch der junge Weller dabei; ja sehr wahrscheinlich waren außer dem Häuptling noch andere Indianer anwesend. Ich hatte also ganz recht gehandelt, mich nicht in die Gefahr zu begeben, entdeckt zu werden, denn diese Gefahr war um so größer, je mehr Personen sich bei dem Buschwerk eingefunden hatten.
Nun kam die wichtige Frage, zu welchem Stamm die Indianer gehörten. Wer die Verhältnisse von Mexiko und vor allen Dingen der Provinz Sonora kennt, der weiß, welch eine Menge von Stämmen dort zu finden sind. Es gibt da Opata, Pirna-, Sobaipuri-, Tarahumara-, Cahuentscha-, Papago-, Yuma, Tepeguana-, Cahita-, Cora-, Colatlan-, Yagui-, Upanguaima- und Guaima-Indianer, welche sich meist wild in Sonora und an den Grenzen dieses Staates umhertreiben. Und dies sind nur die hervorragendsten Stämme; diejenigen, welche nicht von Bedeutung sind, habe ich gar nicht genannt.
Ich hatte den Häuptling nicht gesehen und noch viel weniger sprechen gehört, konnte also nicht einmal ahnen, welchem Volk er zuzurechnen sei. Und doch wäre es für mich von großem Vorteil gewesen, dies zu wissen. Noch wichtiger aber als diese Frage war diejenige, zu welchem Zweck die heutige Zusammenkunft hier stattfand. Daß es sich um die Emigranten handle, konnte ich mir wohl denken; aber etwas Näheres zu erraten, das war mir unmöglich, obgleich ich all meinen Scharfsinn anstrengte und selbst die kleinste Tatsache oder Wahrnehmung an mir vorübergehen ließ, um sie einer eingehenden Beurteilung und Vergleichung zu unterwerfen.
Ich befand mich in einer beinahe fieberhaften Aufregung. Ich mußte alle Selbstbeherrschung aufwenden, um ruhig liegenzubleiben, zumal es über zwei volle Stunden dauerte, ehe der Mormone zurückkehrte und sich zur Ruhe legte. Bei mir gab es freilich keine Ruhe; ich vermochte nicht zu schlafen. Es schwebte eine Gefahr über uns, ohne daß ich sagen konnte, welcher Art sie sei und wann sie hereinbrechen werde. Das raubte mir den Schlaf. Über uns! Nun allerdings zunächst wohl nur über den Emigranten; aber ich hatte mich nun einmal dieser Angelegenheit angenommen, und so stand es fest, daß ich dieselbe auch als die meinige betrachtete und so lange bei den Bedrohten aushielt, bis sie zu Ende geführt war. Ich hätte mich, wie schon oft gesagt, einfach entfernen können, wäre aber dadurch um mein ruhiges Gewissen gekommen und hätte mich selbst für einen Feigling erklären müssen.
Als stets vorsichtiger Mann fragte ich mich dabei, ob ich der Gefahr, von welcher ich zu niemanden sprechen durfte und der ich mich also ganz allein entgegenzustellen hatte, auch gewachsen sei. Der Mut war da; aber wie stand es mit der Verantwortlichkeit? Wenn man mich unschädlich machte, waren diejenigen, denen ich doch helfen wollte, verloren. Es galt also, zunächst und vor allen Dingen, auf meine eigene Sicherheit bedacht zu sein. Da mußte ich denn an den Umstand denken, daß der Mormone die Stadt Ures vermieden hatte, jedenfalls um dort nicht wissen zu lassen, daß sich ein Transport von Emigranten auf dem Weg nach der Hazienda del Arroyo befinde. Wäre dies dort bekanntgeworden, so stand fest, daß er für das spätere Schicksal derselben, deren Führer er doch war, eintreten mußte. Ich meinte also, daß es geraten sei, die dortige Behörde zu benachrichtigen. Wer aber sollte das tun? Natürlich ich. Und wann? So bald wie möglich, also morgen früh. Da aber niemand, am allerwenigsten der Mormone, vorher davon wissen durfte, so mußte ich mich von unserer
Weitere Kostenlose Bücher