4 - Wächter der Ewigkeit
sie mich um etwas bitten wollte? Meine Tochter spielte leise mit einem Baukasten, hatte sie doch mit fünf Jahren aufgehört, sich für Puppen zu interessieren. Allerdings baute sie weder Autos noch Flugzeuge, sondern kleine Häuser. Vielleicht würde sie Architektin werden?
»Sweta, ich soll dienstlich nach Edinburgh fahren«, wiederholte ich für alle Fälle noch einmal.
»Ja, ich hab’s gehört«, entgegnete Sweta gelassen.
Das Fläschchen auf dem Tisch hob sich in die Luft. Der geschliffene Verschluss schraubte sich aus dem Flaschenhals heraus. Der kalte Wodka ergoss sich mit festem, transparentem Strahl ins Glas.
»Ich muss noch heute Abend fliegen«, sagte ich. »Nach Edinburgh gibt es keinen Direktflug, deshalb muss ich in London umsteigen …«
»Dann trink nicht so viel«, warnte Swetlana.
Die Karaffe machte eine Kehrtwendung und verschwand im Kühlschrank.
»Ich habe geglaubt, es würde dir etwas ausmachen«, bemerkte ich bedripst.
»Weshalb sollte es das?« Swetlana trug auch für sich einen vollen Teller auf. Und setzte sich neben mich. »Würdest du dann nicht fliegen?«
»Doch …«
»Siehst du. Außerdem würde dann noch Geser anrufen und mir auseinandersetzen, wie wichtig deine Reise ist.« Swetlana verzog das Gesicht.
»Sie ist wirklich wichtig.«
»Ich weiß.« Swetlana nickte. »Ich habe heute Morgen gespürt, dass man dich weit wegschicken würde. Dann habe ich Olga angerufen und sie gefragt, was in den letzten Tagen so passiert ist. Na ja … sie hat mir von dem Jungen in Schottland erzählt.«
Erleichtert nickte ich. Swetlana wusste Bescheid. Bestens. Damit konnte ich mir Lügen und Ausflüchte sparen.
»Eine merkwürdige Geschichte«, sinnierte Swetlana.
Ich zuckte die Schultern und trank die mir zugestandenen vierzig Gramm auf ex. Genussvoll biss ich in eine Salzgurke.
»Was soll daran seltsam sein?«, murmelte ich mit vollem Mund. »Entweder ein wilder Vampir oder einer, der vor Hunger ausgerastet ist … das kommt bei denen oft genug vor. Allerdings hatte da jemand einen besonderen Sinn für Humor. Einen Menschen im sogenannten Vampirschloss für Touristen zu ermorden!«
»Pst.« Swetlana runzelte die Stirn und blickte demonstrativ in Nadjuschkas Richtung.
Voller Eifer machte ich mich ans Essen. Ich liebe knusprige Bratkartoffeln, noch dazu in Gänseschmalz gebraten, mit Speckschwarten und einem Berg Steinpilzen – frischen, wenn gerade die Zeit dafür ist, sonst getrockneten. Alles war in Ordnung, alles lief gut, Mama und Papa unterhielten sich über dies und das, übers Kino und über Bücher, eigentlich gab es gar keine Vampire …
Leider konnte man unserer Tochter nicht weismachen, Vampire existierten nicht. Sie sah sie nämlich ganz vorzüglich. Mit Mühe hatten wir es ihr abgewöhnen können, in der Metro oder im Oberleitungsbus lauthals herauszuplatzen: »Ma, Pa, guckt doch mal, der Onkel ist Vampir!« Glücklicherweise schrieben die Fahrgäste dergleichen stets kindlicher Einfalt zu, aber gegenüber den Vampiren brachte es uns natürlich in eine peinliche Lage. Manche hatten noch nie einen Menschen angefallen, sondern freiwillig immer nur Spenderblut getrunken und ein rundum anständiges Leben geführt. Und dann zeigte in der Menge eine fünfjährige Göre mit dem Finger auf sie und lachte: »Der Onkel ist ein Untoter, läuft aber herum!« Aber was sollten wir tun? Sie bekam immer mit, worüber wir sprachen – und machte sich ihren eigenen Reim darauf.
Diesmal interessierte sich Nadja jedoch nicht für unser Gespräch. Sie setzte nämlich gerade auf ein Häuschen aus gelben Plastiksteinen ein rotes Ziegeldach.
»Ich glaube, irgendein bestimmter Sinn für Humor spielt hier gar keine Rolle«, sagte Swetlana. »Deswegen würde Geser dich sicher nicht durch ganz Europa jagen. Außerdem besteht die Wache in Schottland ebenfalls nicht aus Dummköpfen, früher oder später würden auch sie den Blutsauger finden.«
»Weshalb dann? Über den Jungen habe ich alles in Erfahrung gebracht. Ein guter Kerl, aber kein Heiliger. Und ganz bestimmt kein Anderer. Kein Dunkler hätte Grund, ihn vorsätzlich umzubringen. Der Vater des Jungen hat es abgelehnt, ein Anderer zu werden, arbeitet jedoch inoffiziell mit der Nachtwache zusammen. Ein seltener Fall, aber nicht einmalig. Ich habe alles überprüft: Es gibt nichts, wofür die Dunklen sich rächen müssten.«
Swetlana seufzte. Sie linste zum Kühlschrank hinüber – und die Karaffe kehrte flugs zurück.
Und mit einem Mal
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