40 Tage Fasten - von einem, der mal Ballast abwerfen wollte
steckt immer noch in uns. Das Gefühl des Mangels begleitet unsere Emotionen. Aus dieser Ecke kommen wahrscheinlich auch die ganzen Warnungen der Leute, wenn ich ihnen erzähle, dass ich einfach mal ein bisschen länger fasten will.
Ohne Liebe halten es viele Menschen jahrelang aus, ohne Nahrung aber geht es nicht.
Gestern erzählte mir der Herzchirurg, dass Fasten zu Herzrhythmusstörungen führen könne. Dem Körper fehlten nach einiger Zeit Elektrolyte, um einen regelmäßigen Herzschlag zu produzieren. Das ist zweifellos möglich, passiert aber sicher sehr selten. Sonst wäre die Menschheit doch längst ausgestorben. Die Wahrscheinlichkeit, dass das bei einem 38-jährigen gesunden Mann auftritt, tendiert gegen null – was aber natürlich kein einziger Schulmediziner unterschreiben würde.
Mein Blutdruck ist total im Keller. Ich brauche mich nur leicht zu bücken, und sofort wird mir beim Aufrichten schwarz vor Augen. Trotzdem fühle ich mich nicht schlecht. Eigentlich geht es mir sogar ganz gut. Ich darf mich eben nur nicht bücken.
Schon nach zwei Tagen sinkt die Produktion des Stresshormons Kortisol, dafür wird das Gute-Laune-Hormon Serotonin ausgeschüttet. In fast allen Büchern schwärmen Experten von diesem Serotonin.
Ich bin high.
Könnte man nicht wenigstens aus Serotonin Tee produzieren? Sanddorn, Hagebutte, Brennnessel, Roibusch, Fenchel, Rhabarber, Entspannungstee, Tee für Schwangere, Karamell- und Blasentee – alles ekelhaft! Ich probiere es trotzdem weiter. Was soll ich sonst auch machen. Alles andere ist ja verboten.
Nichts schmeckt so gut wie Latte macchiato.
Wenn man nichts isst, erhält das Essen plötzlich einen extrem hohen Stellenwert im Leben. Einen viel höheren als sonst. Und man beschäftigt sich mit allerlei Fragen rund ums Thema »Was essen wir Deutschen eigentlich?«. Laut Statistischem Bundesamt hat Fleisch im vergangenen Jahr in Deutschland 21 Prozent des Gesamtumsatzes der Ernährungsindustrie ausgemacht. Milch und Milchprodukte 17 Prozent. Und was liegt auf Platz drei? Nein, nicht Obst und Gemüse! Auch nicht Süßigkeiten! Sondern Alkohol! Mit neun Prozent.
Ich langweile mich. Was soll man auch den ganzen Tag lang machen, wenn man nicht essen kann? Alle Freunde arbeiten. Gabi auch. Also fahre ich in die Stadt – und finde mich plötzlich an meinem Schreibtisch wieder. Wenn ich wenigstens müde oder erschöpft wäre. Aber ich fühle mich sogar extrem energiegeladen. Wohin mit der ganzen Energie? Gleichzeitig bin ich merkwürdig ruhig. Als könne mich nichts erschüttern. Vorboten der Erleuchtung? Ich nehme Aufträge für Freitag, Samstag und Sonntag an, verspreche mir aber hoch und heilig, nächste Woche faul zu sein und mindestens einen ganzen Tag im Wald zu verbringen.
Fasten polarisiert. Fast jeder hat mir etwas zu dem Thema mitzuteilen. Eine stark übergewichtige Kollegin meint, sie halte gar nichts vom Fasten, sie »kriege zu viel, wenn Leute fasten«. Die meisten Menschen würden das ja völlig falsch machen. Gar nicht richtig entgiften. Ich frage die Wuchtbrumme, ob sie wüsste, wie man richtig entgifte und ob sie selbst Fasten- und damit Entgiftungserfahrung gesammelt habe. »Nein.«
Zum Glück schaffe ich es gerade noch, mich zusammenzureißen, und beschreibe ihr nicht, wie ich jeden Morgen den Brausekopf unserer Dusche abschraube, mir das Schlauchende an den Anus halte und damit Wasser in meinen Darm leite. Mein Ein-Lauf zu mir selbst. So entgiften nämlich Fortgeschrittene!
Vielleicht hätte ich es ihr doch erzählen sollen.
Heute findet die zweite Fotosession statt. Schöner werde ich nicht gerade. Aber die Bilder dokumentieren trotzdem ganz gut, wie sich der Körper in den 40 Tagen Fasten verändert. Im Moment sehe ich aus wie der fehlgeschlagene Tierversuch eines drogensüchtigen Gottes. Meine Schultern sind schief. Die Wangenknochen stechen hervor. Und meine Beine sehen krumm aus. Bin ich das?
Ich habe im Internet die Deutsche Fastenakademie entdeckt. Was es alles gibt. Über 40-tägiges Fasten haben die aber auch nichts auf ihrer Homepage. Ob das mit den Elektrolyten fürs Herz vielleicht doch stimmt, ließ sich also dort nicht nachprüfen.
Wer sich noch nicht mit Fasten beschäftigt hat, kann sich gar nicht vorstellen, wie unüberschaubar groß dieses Feld ist. In jeder Region gibt es Fastenkliniken, in jeder Stadt Mediziner, die sich darauf spezialisiert haben, und auf der Straße tummeln sich Hunderttausende, die schon mal gefastet haben oder
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