40 Tage Fasten - von einem, der mal Ballast abwerfen wollte
Bücherregale. Neben einem Stapel neuer Fastenbücher entdecke ich mein altes Fastenbuch Wie neugeboren durch Fasten von Hellmut Lützner. Ich kann es jedem Fastenden nur wärmstens empfehlen. Hier wird genau erklärt, wie man richtig fastet und was dabei im Körper passiert.
Es ist ja doch nicht alles verboten! Das hatte ich anders in Erinnerung. Säfte, Brühe, Buttermilch, ja selbst Honig darf ich! Will ich aber nicht. Buddha hatte unter seinem Baum schließlich auch keinen Honig.
Nach einer Radtour unter einem reibungslosen Sonnenuntergang geht es mir besser. Wie ein Lichtball fällt der Stern einfach hinter die Büsche und erlischt. Fürs Erste.
Ich genehmige mir eine dünne Gemüsebrühe, die Gabi gekocht hat, und einen Schluck Buttermilch – wenn auch schlechten Gewissens, denn der darbende Buddha geht mir nicht aus dem Kopf.
Jetzt liege ich bei Gabi im Bett, und alles ist wieder gut. Sie versteht mich, und ich verstehe sie.
Merkwürdigerweise habe ich überhaupt keine Lust auf Sex. Also überhaupt gar keine! Und das, obwohl Gabi mit Zähneputzen fertig ist und gleich zu mir kommt.
Wie gut, dass ich jetzt auf den größten Künstler der Renaissance, Michelangelo, verweisen kann, der da meinte: Wenn du dein Leben verlängern willst, dann führe den Geschlechtsakt überhaupt nicht aus oder so selten wie nur möglich!
Die Lust auf Sex lässt mit dem Fasten rapide nach. Aber Sex ist auch Nahrung fürs Ego, und das Ego soll ja beim Fasten schrumpfen. Sind das bereits die ersten Schritte zur Erleuchtung?
Da mein gesamtes Umfeld ausnahmslos und vollständig dem Konsumismus verfallen ist – worüber ich mich gar nicht genug aufregen kann –, scheint sich offenbar niemand vorstellen zu können, 40 Tage auf die Basis allen Konsums zu verzichten.
Alle sagen, Verzicht zu üben sei generell eine gute Sache. Weniger Wünsche zu haben, mal ein paar Tage nicht zu rauchen, keinen Zucker zu sich zu nehmen oder gar eine Woche keinen Alkohol zu trinken. Aber 40 Tage Totalverzicht?
Das Leben ist ein großes Fressen. Nach nur drei Tagen Entsagung beginne ich zu begreifen, was wir alles mit Essen verbinden: Genuss, Geselligkeit, Prestige, Befriedigung, Lust, schlechtes Gewissen, Leben und Tod und noch viel mehr. Gegessen wird immer und überall. Wenn ich in Kiel durch die Einkaufsmeile gehe, sehe ich lauter kauende und schluckende Menschen, jeder Dritte mampft. An jeder Ecke gibt es Essbares, überall dampft und brutzelt es. Überall der Geruch nach Bratwurst, Pizza und Brötchen. Das Nahrungsangebot ist so überwältigend, dass es mir fast surreal vorkommt. Wir leben, um zu essen. Und wenn wir wollten, könnten wir uns auch noch gesund ernähren: Bio, Rohkost, Convenience Food. Obst aus aller Welt, jede Gemüsesorte zu jeder Jahreszeit.
Mein dürrer Zeigefinger sticht sofort nach oben, und mein fastendes Ego fühlt sich haushoch über die speisende Bevölkerung erhaben. Ob Magersüchtige ähnlich empfinden?
Für Sokrates, den großen Philosophen, waren alle Menschen Barbaren, die glaubten, mehr als zweimal pro Tag essen zu müssen. Der alte Grieche meinte, dass sich der Mensch sein Grab mit den Zähnen grabe.
Jetzt verspüre ich allerdings wirklich Hunger. Essen ist die schönste Hauptsache der Welt! Ich könnte alles aufessen, was mir über den Weg läuft.
Vierter Tag, 4. September
Wenn Rebhuhn, dann Rebhuhn – wenn Fasten, dann Fasten.
TERESA VON ÁVILA, Kirchenlehrerin
Vierter Tag, 4. September
88,6 KILOGRAMM
Es wird tatsächlich leichter, auch wenn mir das Aufstehen immer noch schwerfällt. Aber ich fühle mich gut! Der Magen grummelt nicht mehr. Kein Hunger. Allerdings hatte ich morgens um fünf auch noch nie Hunger.
Ich habe vom Fastenbrechen geträumt. Auch als ich zu rauchen aufhörte, hatte ich jede Nacht im Schlaf eine Zigarette im Mund.
Ich genieße das Essen nicht wirklich, ich schlinge wie ein Süchtiger. Und ich bin mir ziemlich sicher, das trifft auf eine ganze Reihe von Menschen in unseren Breiten zu. Nur sehr selten stille ich echten Hunger, ernähre mich wirklich bewusst. Wann frage ich mich schon mal, woher die Nahrung kommt? Wann bin ich ehrlich dankbar für mein Essen? Weiß ich überhaupt dieses unerschöpfliche Angebot zu schätzen?
Die Essensaufnahme ist das Erste, womit sich ein Mensch beschäftigt. Wir kommen auf die Welt und wollen zwei Dinge: Liebe und Nahrung – beides brauchen wir zum Überleben. Es geht um die ständige Angst, nicht genug davon zu bekommen. Und diese Urangst
Weitere Kostenlose Bücher