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40 Tage Fasten - von einem, der mal Ballast abwerfen wollte

40 Tage Fasten - von einem, der mal Ballast abwerfen wollte

Titel: 40 Tage Fasten - von einem, der mal Ballast abwerfen wollte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timm Kruse
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Fasten noch hervorragend. Ich nehme auch das als gutes Zeichen für meine intakte Physis.

Einundzwanzigster Tag, 21. September
Beim Essen wird oft genug deutlich, dass ein Tier in uns steckt. Wir essen einfach in uns hinein. Wer die Speisen wirklich genießt, der wird nie zu viel essen. Er wird sich freuen an der Kultur des Mahles. Wer die Speisen in sich hineinschlingt, der wird auch Menschen »verschlingen« und für sich benützen, der wird auch die Schöpfung ausbeuten. Aber da er noch so viel in sich hineinstopfen kann, ohne je satt zu werden, wird er nie zufrieden sein.
ANSELM GRÜN, Menschen führen – Leben wecken 7
    Einundzwanzigster Tag, 21. September
    82,1 KILOGRAMM
    Ich habe bisher maßlos gelebt, alles übertrieben. Genießen war absolut nicht meine Stärke. Satt war ich nie und ebenso wenig zufrieden. Habe ich Menschen ebenfalls »verschlungen«? Eher habe ich Menschen fallen gelassen, Freunde und Partnerinnen ausgewechselt. Aber verschlungen?
    Ich wache immer noch jede Nacht mehrmals auf. Mein Mund ist ausgetrocknet und die Blase zum Bersten voll. Anscheinend scheidet mein Körper erst nachts richtig Flüssigkeit aus. Da Menschen nachts sowieso fasten – man denke an »Breakfast« –, scheint das Ausscheiden jetzt doppelt so gut zu funktionieren.
    Zurzeit gibt es jeden Tag etwas zu feiern. Gestern die Hälfte meiner Fastenzeit, heute drei Wochen, morgen feiere ich mit 22 Tagen eine schöne Schnapszahl. Nur, wie feiert ein Fastender? Ich könnte ja meine vernachlässigten Freunde mal auf einen Kamillentee oder eine dünne Saftschorle einladen. Allerdings müssten sie dann damit rechnen, dass ich den ganzen Abend nicht rede. Ich feiere lieber allein. Mit meinen Säften.
    So wenig wog ich seit dem Abitur nicht mehr. Vor ein paar Jahren hatte ich noch 20 Kilo mehr. Das entspricht 80 Päckchen Butter. Damals trank ich aber auch zweimal die Woche Alkohol und aß danach immer noch eine Pizza, einen Döner, einen Hotdog oder was sich an Berliner Fast-Food auf dem Heimweg anbot.
    Aber irgendwie war das Leben damals auch reicher an Abwechslungen. Dafür bin ich jetzt so clean wie seit meiner Kindheit nicht mehr. Stellt sich die Frage: Was ist schöner? Ein dreckiges kurzes Leben oder ein sauberes langes? Ich hoffe, mir steht kein sauberes kurzes bevor.
    Sex! Wir hatten Sex. Obwohl ich gar keine Lust hatte. Aber ich kann doch noch genießen. Anschließend hatte ich wahnsinnige Lust auf einen Latte macchiato. Und jetzt auf Fisch! Ich werde tonnenweise Fisch essen.
    Mein Körper giert nach tierischem Eiweiß. 38 Jahre lang wurde er gemästet. Und jetzt: seit drei Wochen Ebbe.
    Gestern traf ich wieder einen Weisen aus dem Medienland. Er behauptete, das Schwierigste nach dem Fasten sei, überhaupt wieder zu essen. Man müsse sich regelrecht zum Essen zwingen.
    Das bezweifle ich. Ich garantierte ihm, dass es für mich am schwierigsten werde, nicht sofort einen Schweinebauch mit Pommes zu vertilgen. Womit ich natürlich übertrieben habe. Ich könnte mir auch vorstellen, einfach nur einen Zentner Obst zu essen.
    Ich kann die Ratschläge der Leute nicht mehr hören. Ihre Sorgen, Ihren Kummer. Alles Getue, um bloß selbst nichts zu verändern. Mein eitles Ego schimpft über die Esser. Kein Wunder – wer will schon ein Mit-Esser sein.
    Ich werde mir Sushi selbst zubereiten. Jeden Tag. Ich bin fast besessen von dieser Idee. Letzte Nacht träumte ich, ich würde im Meer mit bloßen Händen Fische jagen, könnte unter Wasser atmen mit offenem Maul. Aber ich fing keinen und wurde immer müder, bis ich schließlich wie verkatert aufwachte und mal wieder dringend pinkeln musste.
    Beim bloßen Schreiben übers Essen fängt mein Magen an zu knurren. Da ist sie wieder, die Geist-Körper-Einheit. Ich stelle mir Sushi vor, und der Magen grummelt.
    Die Sonne ist untergegangen. Ohne Sonnenlicht fühle ich mich wohler. Die Sonne strengt mich an.
    Ich war heute wieder mal nicht bei der Arbeit. Und es war ein herrlicher Tag, lang, entspannt, sorglos. Daraus sollte ich endlich lernen und in den kommenden Tagen einfach nicht arbeiten. Je länger ich faste, desto mehr Ruhe brauche ich. Ruhe von allen und allem.
    Mein Körper und mein Geist fühlen sich immer durchlässiger an. Wenn ich klassische Musik höre, berührt sie mich unmittelbar im Innersten. Ungefiltert.

Zweiundzwanzigster Tag, 22. September
Louis Lecoin (1888–1971) trat in seinem 1958 begonnenen Kampf für Legalisierung der Kriegsdienstverweigerung am 1. Juni 1961 in

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