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40 Tage Fasten - von einem, der mal Ballast abwerfen wollte

40 Tage Fasten - von einem, der mal Ballast abwerfen wollte

Titel: 40 Tage Fasten - von einem, der mal Ballast abwerfen wollte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timm Kruse
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prophezeit in Lukas 5,33 ff., dass seine Jünger fasten werden. Gehören die Evangelischen etwa nicht dazu?
MATTHIAS NICHE, Kommunität St. Michael, Cottbus
    Achtzehnter Tag, 9. September
    83,0 KILOGRAMM
    Bin ich der erste Evangele, der 40 Tage fastet? Ich wasch uns alle rein! Damit unsere frömmeren katholischen Brüder und Schwestern nicht mehr so streng mit uns sein mögen.
    Gabi verdreht die Augen und meint, ich würde mich zu wichtig nehmen.
    Ich wurde 1984 konfirmiert und habe tatsächlich mein altes Konfirmandenheft aufgehoben: im Kleinen Katechismus Martin Luthers wird das Fasten ausdrücklich »als eine feine äußerliche Zucht« empfohlen, verbunden mit dem Hinweis, dass derjenige »recht würdig und wohl geschickt« sei, der dem Wort Gottes glaubt.
    Mein Glaube an Gottes Gesetze wird jede Nacht bestätigt. Letzte Nacht etwa musste ich dreimal pinkeln. Anfangs dachte ich, meine Prostata wäre wie bei einem alten Mann geschwollen und die Harnröhre daher verengt. Aber nicht deshalb sitze ich so häufig und vor allem lange auf dem Klo, sondern weil ich ganz einfach unglaubliche Mengen pinkele. Mehr als drei Liter pro Nacht.
    Ich habe zum ersten Mal das Gefühl, dass mein Körper abbaut. Mir ist ständig kalt, die Gliedmaßen baumeln am Leib, die Augen scheinen mir aus dem Kopf kullern zu wollen. Mein Allgemeinzustand: schlaff, matt, gerädert. Meine Stimmung: trüb.
    Ich fühle mich stocknüchtern, bin merkwürdig emotionslos bis mürrisch, und an Sex denke ich mittlerweile überhaupt nicht mehr. Am liebsten würde ich einen Waldspaziergang machen und dem Zwitschern des Zilpzalp (den gibt es wirklich) lauschen.
    Alles scheint heruntergefahren zu sein bei mir. Wie fast immer in letzter Zeit liege ich schon um neun Uhr abends im Bett. Einerseits als Flucht vor der Kälte und andererseits, um den Energieverlust durch Bewegung zu vermeiden.
    Ich laufe auf Sparflamme und sehe dabei mich und meine Umwelt in einem neuen, neutralen, durch keinerlei Emotionen getrübten Licht. Ich stelle fest, dass ich mich auf nichts mehr einlasse, lächle nicht mehr automatisch zurück, wenn mir jemand freundlich begegnet. Lasse mich kaum noch auf Gespräche ein. Erzähle selbst fast nichts mehr. Mein Unterhaltungswert geht gegen null. Gabi hält das weniger für Neutralität als vielmehr für einen krankhaften Zustand: »Mir kommst du vor, als würdest du gleich durchdrehen.«
    Ich bin mir selbst gleichgültig geworden. Alle anderen auch. Das Persönliche, Menschliche interessiert mich kaum noch. Unsere Probleme sind so lächerlich. Ich will nicht herzlos wirken. Aber worüber beschweren wir uns? Nehmen wir das eigentlich selbst noch ernst?
    Wer das Gefühl hat, stocknüchtern und klar zu sein, muss auch in sein Innerstes schauen. Und tief in mir brodelt es. Mit altem Körperdreck, den Stoffwechselschlacken, will auch Psychomüll raus. Ich spüre eine Wut, die sich noch nicht Luft macht. Noch nicht.
    Bin sehr schlecht gelaunt. Könnte dauernd austreten wie ein Gaul.
    Heute danke ich der Welt, dass sie mich erträgt.

Neunzehn Tag, 19. September
Fasten ist Humbug. Hokuspokus. Zu sich selbst kommen kann man auch anders, indem man sich einfach mal ein Buch nimmt und in den Wald setzt. Das ist eine sehr viel gesündere Methode.
SVEN-DAVID MÜLLER, Vorsitzender des Deutschen Kompetenzzentrums Gesundheitsförderung und Diätetik
    Neunzehn Tag, 19. September
    83,2 KILOGRAMM
    »Du siehst kaputt aus«, sagte gerade eine Kollegin zu mir. Kein Wunder! Ich musste ja auch schon um fünf Uhr auf Dreh, um einen Sonnenaufgang festzuhalten, der dann doch höchst durchschnittlich war. Aber einer unserer Vorgesetzten hatte in den vergangenen Tagen immer so schöne Aufgänge beobachtet und hätte so einen gern in der Sendung gehabt. Und was war? Grau in Grau. Das hatten sich alle ganz anders vorgestellt. Höchste Zeit, dass die Sonne nach des Menschen Pfeife tanzt. Wenn wir könnten, würden wir das Wetter den Anforderungen des Fernsehens anpassen.
    Und wieder eine andere Kollegin: »Es gibt doch auch Menschen, die nicht fasten und trotzdem gesund sind. Wir laufen doch nicht alle mit Schlackestoffen rum!« Was soll man dazu sagen …
    Da ich einfach keinen Tee mehr sehen kann, habe ich zum letzten Mittel gegriffen und alle Teesorten in der Küche zusammengeschüttet. Jetzt trinke ich eine Mischung aus Salbei-, Minze-, Blasen-, Roibusch-, Vanille-, Sanddorn- und Hagebuttentee. Ja, diese Mischung schmeckt siebenmal schlechter als eine Sorte

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