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41 - Unter heisser Sonne

41 - Unter heisser Sonne

Titel: 41 - Unter heisser Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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Wunder, daß da der Bub nicht grad bei ganz guter Laune war! Noch ehe wir das Gartenhaus erreicht hatten, hörten wir seine zornige Stimme, mit der er dem Vater zurief: „Nein! Du hast es mir versprochen! Du darfst nicht herein! Auch bin ich noch nicht fertig! Der Effendi ist der erste, der es sehen darf, nicht du!“
    „Aber der ist ja da, der Effendi!“ antwortete Mustafa Bustani.
    „Wo?“
    „Hier!“ meldete ich mich, indem ich den Vater zur Seite schob und mich dem Sohn zeigte.
    „Schon heut'?“ wunderte sich dieser. „Du wolltest doch erst morgen kommen! Aber es ist trotzdem schön, daß du schon jetzt da bist. Ich bin zwar noch nicht fertig, denn du siehst, daß die Haifische noch fehlen, aber die mache ich gelegentlich dazu; das geht sehr schnell. Tretet also ein, ihr beiden und – – –“
    „Nun, und ich?“ unterbrach ihn sein Vater.
    „Ich will so gütig sein und auch dir es erlauben, weil die beiden Hauptpersonen doch zugegen sind. Das tue ich aber nur, weil auch du zuweilen nachsichtig mit mir bist!“
    „Leider, leider! Allah weiß, daß ich das bin!“
    So schickten wir uns denn in nicht ganz harmonischer Stimmung und mit nicht ganz gewöhnlichen Gefühlen an, das Kunstwerk zu genießen, und ich muß allerdings der Wahrheit gemäß konstatieren, daß mir weder vorher noch nachher wieder etwas so hoch in der Tiefe Aufgefaßtes und so tief in der Höhe Ausgeführtes vor die Augen gekommen ist. Wir standen vor einer so großen, erstaunlichen und in ihrer Wirkung so beispiellosen Leistung, daß ich unbedingt wenigstens eine Situationszeichnung geben muß. Denn eine Beschreibung ist, genauso wie bei einem Rafael Santi oder einem Rembrandt van Rijn, absolut unmöglich.
    Das Gartenhaus konnte also nur nach dem Garten hin geöffnet werden, dem orientalischen Gebrauch entsprechend, sich von der Außenwelt abzuschließen. Trat man durch die geöffnete Tür, so stand man vor drei geschlossenen Wänden, vor sich eine und je rechts und links eine. Diese Wände waren früher, wie bereits erwähnt, weißgelb, mit goldenen Koransprüchen gewesen. Das gab es jetzt nicht mehr. Die Mittelwand war bis in Mannshöhe blutrot oder vielmehr glühend rot. Die beiden Seitenwände zeigten, auch bis in Mannshöhe, eine saftig grüne Farbe. Über diesem Rot und über diesem Grün war alles blau angestrichen. Und hoch oben an der Decke, da, wo die Ampelschnur befestigt war, saß ein großer, gelber Fleck, der erst wahrscheinlich rund gewesen, dieser Form aber nicht treu geblieben, sondern mit dem Blau zusammengelaufen war. Mitten in dem Grün zur rechten Seite stand ein weißes Haus; das hatte zwei Haustüren, ein Fenster und drei Schornsteine. Und mitten in dem Grün zur linken Seite stand ein schwarzes Haus; das hatte drei Haustüren, gar kein Fenster und zwei Schornsteine. Ganz unten am Mittelfeld links, wo das Rot mit dem Grün zusammenstieß, sah man eine schwarze, menschliche Ferse, die bis zur halben Wade hinauf aus der roten Farbe schaute. Und ganz unten, am Mittelfeld rechts, wo das Grün mit dem Rot zusammenstieß, sah man eine weiße, menschliche Fußspitze, die bis zum halben Schienbein hinauf aus der roten Farbe schaute. Daß noch Haifische hinzukommen sollten, war zwar bekanntgegeben worden, doch fand ich trotz aller Mühe auf keiner der drei Flächen auch nur den allergeringsten Platz, wo sich ein Haifisch hätte wohl fühlen können.
    „Da steht ihr nun alle und staunt!“ sagte Thar, indem er seinen Blick in höchst überlegener Weise über uns gleiten ließ. „Wißt ihr, was das bedeutet? Weißt du, Effendi, was es ist?“
    Da er sich so direkt an mich wandte, so sah ich mich gezwungen, der Sache wohl oder übel auf die verwischte Spur zu kommen. Ich war aber so diplomatisch, keinen Gegenstand zu nennen, den das Bild vielleicht hätte vorstellen können, denn ich wollte mir die Hochachtung des Künstlers auf alle Fälle erhalten. Darum antwortete ich nur so im allgemeinen, aber möglichst kunstbegeistert: „Es ist das reine blaugrünrotgelbe Wunder!“
    „Richtig!“ stimmte er mir bei. „Du sagst nie etwas falsch! Es hat uns auch Mühe und Farbe genug gekostet. Schau nur her!“
    Er deutete auf den Boden nieder, wo halb- und ganzleere Farbentöpfe standen und Pinsel bis zur äußersten Größe lagen, die Abreibe-, Wisch- und Scheuerlappen gar nicht gerechnet.
    „Das haben wir vom Tüncher geholt“, fuhr er fort. „Und weil die Zeit zu kurz war und ich nicht allein fertig werden konnte,

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