41 - Unter heisser Sonne
Der Scheik stellte uns zunächst seine Frau und dann die Ältesten vor. Die Frau war in feines, indisches Linnen gekleidet. In ihrem Haare glänzten goldene und silberne Ketten und Münzen. An ihren Hand- und Fußgelenken klirrten schwere Spangen. Man sah ihr an, daß sie stolz auf diese Schmuckstücke war und ebenso wohl auch auf die hohe, imponierende Gestalt, durch die sie sich vor den anderen Frauen, die wir sahen, auszeichnete. Dennoch richteten sich aller Augen nicht auf sie, sondern auf Merhameh, die zwar in einfachen, billigen Stoff gekleidet und ohne jedweden künstlichen Schmuck an ihrer Seite stand, aber trotz alledem nicht weniger imponierte.
Die Vorstellung geschah in orientalisch würdevoller Weise, mit Nennung aller möglichen Vor-, Zu- und sonstigen Verwandtschaftsnamen. Ich hatte sie natürlich zu erwidern. Ich tat dies, indem ich nicht von oben anfing, nämlich bei Merhameh, sondern von unten, bei Halef. Als die Münazah seinen langen Namen erfuhren, und daß er der vielgenannte Scheik der Haddedihn sei, sahen sie ihn schon mit anderen Augen an als bisher. Über mich ging ich schnell hinweg, indem ich nur sagte, daß ich ein Effendi aus Deutschland sei.
„Aus Dschermanistan bist du?“ fragte der Scheik. „Das kenne ich! Da wohnen viele gelehrte Menschen und viele Christen, die wirklich Christen sind. So ist es kein Wunder, daß du Gast im Hause Abd el Fadls geworden bist. Kennst du Merhameh, seine Tochter?“
„Ja.“
„So meint es Allah gut mit dir. Denn wer sie kennt, dem ist die Erinnerung an sie wie immerwährender Sternenglanz oder wie erquickender Rosenduft, der nie vergeht. Ich sah sie nur einmal. Sie war noch Kind, vielleicht zwölf Jahre alt. Das war beim damaligen Mir von Ardistan. Wir hatten uns gegen ihn empört und waren in seine Hand geraten, mein Vater, mein Bruder und ich. Unser Leben war verwirkt. Wir sollten erschossen werden. Schon standen wir auf dem Richtplatz. Rund um uns saßen die Richter auf den Steinen, bei ihnen der Mir, der nur die Hand zu erheben brauchte, so hätten die Schüsse gekracht. Da kam Merhameh, das wunderbare Kind, herbeigesprungen und hielt ihm diese Hand. Sie sprach zu ihm, wie nur die Engel sprechen. Sie bat, wie nur die Erde bittet, wenn sie um Regen auf zum Himmel schmachtet. Sie griff ihm mutig in das harte Herz. Sie rang mit ihm. Nicht wie ein Kind, wie eine Riesin kämpfte sie für uns. Und daß ich dir es heut erzählen kann, Effendi, ist der Beweis, daß er, der Mächtige, der Starke, der Tyrann, ihr unterlag. Sie siegte. Er gab uns frei! Es war das erste und das letzte Mal, daß ich sie sah. Ob ich sie wiedererkennen würde, wenn sie mir heut begegnete, das weiß ich nicht. Ich glaube kaum. Denn ihr schönes, liebes Kinderantlitz hat in mir die Züge eines Wesens angenommen, das niemand, auch ich selbst nicht mehr, mit dem Auge des Körpers erfassen kann. Darum bitte ich dich, Effendi, sie mir zu beschreiben. Wie ist ihr Gesicht nun jetzt? Ihre Haltung, ihr Gang, ihre Stimme? Hat sie vielleicht von uns gesprochen, oder – – –“
„Nein“, unterbrach ich ihn. „Sie spricht niemals von dem, was sie tat und gab. Man kann es nur, so wie auch jetzt, von anderen Leuten hören. Aber die Beschreibung sollst du haben. Und zwar eine so lebendige und so treffende Beschreibung, daß du gewiß überzeugt sein wirst, die Person vor dir zu haben. Ich bin ja noch nicht fertig, dir zu sagen, wer wir sind. Schau, hier steht Merhameh, die Tochter meines Freundes Abd el Fadl, des Fürsten von Halihm!“
Er trat in höchster Überraschung einige Schritte zurück, schaute die Errötende mit frohem Auge an und rief: „Maschallah! Welch ein Wunder, und aber doch kein Wunder! Also darum, darum kamst du mir sogleich bekannt vor! Und darum, darum mußte ich dich grüßen, obgleich ich gar nicht wollte! Du bist's, du bist's; jetzt sehe ich es erst! Meine Retterin! Die Retterin meines Vaters, meines Bruders!“
Er trat auf sie zu, beugte sich vor ihr bis auf die Erde nieder, küßte den Saum ihres Gewandes und fragte: „Weißt du noch, was wir dir versprochen? Was wir dir nachriefen, als du davon eiltest, um unserem Dank zu entfliehen?“
„Ja“, lächelte sie, indem sie ihn zwang, sich wieder aufzurichten.
„So sage es mir! Sage es mir wörtlich!“
„Dein Vater rief: ‚Bitte dereinst von mir, was du willst, es soll dir werden!‘ Du riefst: ‚Es soll dir von mir und meinem Stamm werden, es sei, was es sei!‘ Und dein Bruder rief: ‚Es soll
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