41 - Unter heisser Sonne
Omar ein sehr ehrenvoller. Nämlich mein Freund Abd el Fadl, dessen hohe Stellung meine Leser sehr wohl kennen, hatte uns seine Lieblingstochter anvertraut, sie sicher nach dem fernen Wadi Ahza zu bringen, wo liebende Verwandte sie erwarteten. Der Weg, der uns nach diesem Ziel führte, ging durch Gegenden, die man damals nicht nur beschwerlich, sondern sogar gefährlich nennen mußte, weil die Scheiks mehrerer dortiger Stämme sich miteinander veruneinigt hatten und jeden Augenblick der offene Ausbruch der Feindseligkeit zu erwarten war. Da konnte man sehr leicht zwischen die scharfen Schneiden einer sich plötzlich öffnenden Schere geraten, und es war gewiß ein großes Vertrauen, welches Abd el Fadl uns dadurch bewies, daß er die Sicherheit seines Kindes grad in unsere Hände legte, die wir doch eigentlich fremd im Land waren.
Die Tochter hieß Merhameh, zu deutsch ‚Barmherzigkeit‘. Sie war jung und schön, und zwar von einer so edlen, reinen, keuschen, ich möchte sagen, heiligen Schönheit, daß sie gar kein Wort zu sagen, sondern nur das Auge aufzuschlagen brauchte, um alles, was nicht lauter, klar und sauber war, von sich abzuweisen. Sie übte, ganz ohne es zu wissen oder gar zu wollen, eine unter Umständen unwiderstehliche Macht sogar auf rohe Menschen aus, und es ist nicht nur damals, sondern auch anderweitig vorgekommen, daß sie es war, die uns durch diese Macht beschützte, anstatt wir sie mit Hilfe unserer Waffen.
Wir waren zu Pferd. Halef und ich auf unseren beiden wohlbekannten Rappen, Merhameh nach Art der Beduininnen auf einem hochedlen Braunen aus Amahnistan. Hinter uns folgte ein Diener, den Abd el Fadl uns mitgegeben hatte, um zwei Packpferde zu leiten, auf denen die Lagerkissen, Decken, Proviant, Geschenke und ähnliche Dinge verladen waren. Die Gegend, durch welche wir heut kamen, war bergig, doch unbewaldet. Sie gehörte dem Stamme der Münazah und grenzte an das Gebiet des Stammes Manazah. Beide Stämme waren, wie schon der Name andeutet, eng miteinander verwandt, hörten aber niemals auf, sich herüber und hinüber zu streiten. Kürzlich hatte ein Manazah einen Münazah ermordet. Das erforderte Blutrache. Der Blutpreis war zwar angeboten, aber nicht angenommen worden, und so standen Kämpfe bevor, die unserer Reise leicht hinderlich werden konnten, da wir durch das Gebiet der beiden Stämme grad mitten hindurch mußten. Eine Umgehung war nicht möglich.
Eine Straße nach europäischen Begriffen gab es nicht. Wir folgten einem langgezogenen, schmalen Wässerlein, welches gar nicht schmaler, aber auch gar nicht breiter zu werden schien. Es tränkte hier und da einen Grasstreifen oder ein Gebüsch, aber ein Feld, einen Garten, ein Zelt oder gar ein Haus sah man nirgends. Man wohnte der unaufhörlichen Kämpfe wegen nicht am Weg, sondern man sah sich, obgleich man Besitzer war, gezwungen, sich wie ein Dieb oder Räuber zu verbergen. Man wohnte so fern wie möglich von oft betretenen Stellen. Hieraus ist es zu erklären, daß wir während des ganzen heutigen Tages noch keinen einzigen Menschen gesehen hatten. Erst jetzt, wo es um die Mitte des Nachmittages war, sahen wir plötzlich auf der nächsten Höhe links von uns einen Reitertrupp erscheinen. Er bestand aus zehn bis zwölf Männern, welche stutzten, als sie uns sahen, dann trotz der Steilung im Galopp zu uns herunterkamen und uns umzingelten. Sie waren nach dortiger Art sehr gut bewaffnet. Einer von ihnen, der Älteste, fragte in strengem Ton, wer wir seien und wohin wir wollten. Ich antwortete: „Wir kommen von Abd el Fadl, dem Fürsten von Halihm, und wollen nach dem Wadi Ahza, welches ihr wohl kennen werdet.“
„Wir kennen es“, nickte er, indem seine Haltung ehrerbietiger, sein Gesicht freundlicher und sein Ton höflicher wurde. „Es herrscht dort große Not. Krankheit und Hunger sind ausgebrochen. Da sendet Abd el Fadl, was er nur senden kann, um Trost und Hilfe zu spenden, obgleich die Leute von Ahza nicht seines Stammes, sondern Fremde für ihn sind. Er ist ein Fürst nicht nur von Geburt, sondern auch ein Fürst der wahren Menschenliebe. Du kennst ihn also wohl?“
„Ich bin Gast seines Hauses.“
Da legte er seine rechte Hand grüßend auf Brust, Mund und Stirn und sprach:
„So bitte ich dich, auch Gast bei mir zu sein! Wo wolltest du ruhen für heut?“
„Im Freien. An der Stelle, wo uns der Abend begrüßt.“
„So begrüße ich dich hiermit an dieses Abends Stelle und biete dir mein Zelt zur Wohnung an.
Weitere Kostenlose Bücher