42 - Die Trommeln von Scorpio
beleuchteten Korridor in einen Raum am anderen Ende, der eindeutig als Wohnzimmer diente. Um den breiten, gründlich gesäuberten Holztisch in der Mitte standen schmale Stühle. Die Wände waren mit Regalen und Schränken vollgestellt. An einer Wand stand ein Herd, gegenüber gab es eine Waschgelegenheit. Wie erwartet roch es nach Essensresten, Putzmitteln und Schweiß, doch in die Gerüche mischte sich der unverkennbare Duft teuren Parfums.
An dem Tisch saßen vier Frauen, die damit beschäftigt waren, das Essen zuzubereiten; am Herd stand eine fünfte. Sie waren nicht alle gleich und hatten durchaus nicht alle Ähnlichkeit mit Manting. Ich vermutete, daß sich hier das geheime Hauptquartier befand, das ihnen als Basis neuer Ideen und zum Kräftesammeln beim Aufbau des neuen lohischen Reiches diente.
Wir wurden einander vorgestellt, dann saß ich still da und kaute an einem Stück Brot, bis das Essen fertig war. Ich sagte nur sehr wenig, beantwortete Fragen höflich mit den bequemsten Lügen, die mir in den Sinn kamen und hörte zu, was gesprochen wurde.
Die Frauen und Manting hatten einander Neuigkeiten mitzuteilen und Tratsch auszutauschen. Das Brot war schnell verspeist, und da ich kein Interesse an dem Gespräch zeigen wollte, las ich in den beiden Büchern, die auf dem Tisch lagen. Das eine erinnerte mich an Sosie na Arkasson, handelte es sich doch um Die Suche nach Kyr Nath. Das andere Buch entlockte mir ein heimliches Grinsen. Die ersten Worte des ersten Kapitels lauteten: ›In den Schatten bewegte sich ein Fuß.‹ O ja. Die Lügengeschichten über die Abenteuer Dray Prescots waren bis ins neutrale Loh vorgedrungen. Und natürlich trieb mir die Erinnerung an die schwarzen Federn des Großen Chyyan – aufgrund der Gefahren, die Delia in Bedrängnis brachten – aufs neue den Angstschweiß auf die Stirn. Was, zur Herrelldrinischen Hölle, beabsichtigten die Herren der Sterne, wenn sie mich hier so herumhängen ließen, während ich doch zurück in das brennende Taranjin mußte, um die verdammten Katakis zu erschlagen und Delia in die Arme zu schließen?
Die Vorstellung, daß die Everoinye meine leidenschaftliche geistige Forderung gehört hatten und auch beantworteten, war närrisch. Doch sagte eine der Frauen, Lola die Assandra: »Ja, Mu-lu, ich fürchte, wir schweben in Gefahr, seit du uns verlassen hast.«
»Erzähl.«
»Ferlie wurde mit Dreck beworfen, als sie eine Rede halten wollte. Und sie wurde verfolgt. Sie wissen, wo wir wohnen.«
Nola schnaubte. »Laßt sie kommen. Ich habe mein Nudelholz.« Der Schnurrbart über dem feuchten Mund sah wild aus, die durchdringenden Augen funkelten bösartig.
Mu-lu-Manting wirkte eher verärgert als besorgt. »Ich hatte das Versprechen der Kovneva Shernly, ihr persönliches Wort, daß man uns nicht belästigt.«
»Die Kovneva teilt unsere Ansichten.« Lola schnitt mit exakten, kleinen Schnitten Gemüse in Streifen. »Der Kov nicht.«
»Ja«, mischte sich Ferlie ein, für deren eindringliches Parfum sich nun eine Erklärung fand, »und ich bin sicher, er wiegelt das gewöhnliche Volk gegen uns auf. Weil ...«
»Weil er sich vor seiner Frau fürchtet!« fauchte Manting.
Die Erklärung für diese Lage der Dinge war ganz einfach: Zur Zeit des lohischen Reiches war der Adel, also Leute wie der Kov von Shamfrin, starkem Druck von seiten der Königinnen der Schmerzen ausgesetzt gewesen. Ein Kov, dessen Rang in etwa einem Herzog auf der Erde entspricht, nimmt die höchste Adelsposition ein – abgesehen vom Hyr Kov oder Erz-Kov –, und in der heutigen entspannten Atmosphäre nach dem Zusammenbruch des Reiches verfügt der Adel über viel weitreichendere Machtbefugnisse. Seiner Frau, der Kovneva Shernly na Shamfrin, hätte ein Wiederauferstehen des Reiches und der Königinnen der Schmerzen sicher recht gut gefallen, doch ihr Ehemann, der Kov, vertrat mit Sicherheit eine andere Meinung.
Die Mineralöllampe auf dem Tisch warf Schatten auf Mantings Gesicht, als sie plötzlich völlig unerwartet hervorstieß: »Als man mich an den mit Steinen gefüllten Sack band und ich das Wasser um mich herum spürte, da ...« Sie zitterte und schlug die Hände vors Gesicht. Lola die Assandra stand auf, ließ das Messer fallen und ging um den Tisch herum. Sie drückte Mantings Kopf an die Brust, streichelte ihr das Haar und beruhigte sie.
Ein etwas schmächtig gebautes Mädchen mit dunklem lockigen Haar und strahlenden Augen sagte: »Wenn der Barbar nicht dagewesen wäre, Mu-lu
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