42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers
brummte der Hüter überrascht, „ganz der Herzog Olsunna! Ganz wie aus den Augen geschnitten!“
„Was?“ fragte Kurt leise.
„Oh, nichts“, flüsterte der Gefragte, sich rasch zusammennehmend. „Wer ist dieser Riese?“
„Onkel Sternau.“
„Und diese prächtige Dame?“
„Die Gräfin.“
„Lassen wir sie vorüber.“
Dies war ein Beschluß, der sich sogleich als nicht ausführbar erweisen sollte. Sternau kam Arm in Arm mit der Geliebten langsam dahergeschritten; es war jetzt in ihrem Gespräch eine Pause eingetreten, während welcher beide nachdenklich ihren Weg fortsetzten. Da plötzlich krachte es links von ihnen in den Büschen, und es ließ sich ein zorniges und schnaubendes ‚Hu-hu-hu-hu‘ vernehmen.
„Was ist das?“ fragte Rosa, stehenbleibend.
„Das klingt fast wie eine Wildsau auf der Flucht“, antwortete Sternau besorgt.
Er hatte diese Worte kaum gesagt, so brach es aus dem Buschrand hervor. Ja, es war ein Eber. Er sah die beiden, glotzte sie einen Augenblick lang grimmig mit seinen kleinen Augen an, senkte dann den mit zwei fürchterlichen Hauern bewehrten Kopf und stürzte sich auf Rosa, die mit ihrer auffälligeren Kleidung seinen Zorn mehr auf sich zog als Sternau.
„Heilige Madonna!“ rief sie, vor Schreck nicht fähig, auch nur einen einzigen Schritt zu tun.
„Heiliger Gott!“ rief Sternau in fürchterlicher Angst, da er keine Waffe bei sich trug.
Er umfaßte die Geliebte, und gerade in demselben Augenblick, in welchem der Eber seinen hauenden Stoß führen wollte, riß er sie empor und sprang mit ihr zur Seite.
„Holla, Onkel, keine Angst!“ rief da eine helle Kinderstimme.
Zu gleicher Zeit ertönte ein Schuß. Der Eber, welcher zum zweiten Stoß, der jetzt ganz gewiß getroffen hätte, ausholte, blieb einen Augenblick lang wie erstarrt stehen; dann schnellte er um einige Schritte zur Seite, wankte wie betrunken und brach zusammen.
„Hurra! Fertig! Auf einen einzigen Schuß!“ jubelte da dieselbe Kinderstimme.
Erst jetzt gewann Sternau seine volle Tatkraft wieder, die er aus Angst um der Geliebten willen für einen Augenblick verloren hatte, was bei ihm noch niemals vorgekommen war.
„Du, Kurt?“ fragte er den Knaben, der soeben aus den Büschen trat.
„Ja, ich!“ lachte dieser, das Gewehr noch immer erhoben, um nötigenfalls sogleich den zweiten Lauf abschießen zu können. „Ist der Bursche wirklich tot, Onkel?“
„Ich glaube es. O Kurt, Herzensjunge, du hast uns das Leben gerettet!“
„O nein, Onkel“, antwortete der Junge. „Du bist stark; du hättest diesen Keiler in den Boden getreten. Darum bin ich froh, daß ich dir zuvorgekommen bin.“
„Wie kommst du hierher?“
„Ich wollte nach dem Schloß. Ich war bei dem Tombi, der einen Bock hintragen will.“
„Tombi? Wer ist das?“
„Da, da steht er ja.“
Da trat Tombi hervor und antwortete:
„Herr, ich bin ein Waldhüter und gehöre zum Schloß.“
Als Sternau ihn erblickte, trat er vor Überraschung einen Schritt zurück. Rosa ging es ebenso. Sie rief erstaunt, sich nicht auf die Gegenwart besinnend:
„Alfonzo! Ah, nein! Aber welche Ähnlichkeit!“
„Tombi heißen Sie?“ fragte Sternau, sich fassend. „Das ist kein deutscher Name!“
„Ich bin kein Deutscher, Herr.“
„Was denn?“
„Ein Gitano.“
„Ah, ein Zigeuner?“
„Ein spanischer Zigeuner?“ setzte Rosa hinzu. „Denn nur diese werden Gitanos genannt.“
„Ja, meine Dame“, antwortete Tombi spanisch, da Rosa in dieser Sprache gesprochen hatte.
„Aus welcher Gegend?“
„Aus keiner“, antwortete er mit einem wehmütigen Lächeln. „Der Gitano hat keine Heimat; er kennt weder Nähe noch Ferne; er kennt weder Gegend noch Richtung. Erzieht und wandert, und wo er ist und wo er hinkommt, da ist er fremd und ausgestoßen.“
„Doch nur durch böse Menschen. O wie freut es mich, die Sprache meiner Heimat zu hören. Wie kommen Sie aber hierher in diesen Dienst?“
„Ich habe Spanien und Frankreich oft durchzogen, dann auch Deutschland. Als ich nach hier kam, war ein großes Treiben. Man brauchte Leute und stellte mich mit zu den Treibern. Da merkte der Herr Hauptmann, daß ich schießen konnte, und vertraute mir ein Gewehr an. Er war mit mir zufrieden und fragte mich, ob ich bleiben wolle. Ich blieb.“
„Wie lange ist dies her?“ fragte Sternau.
„Drei Jahre.“
„Gerade so lange, als meine Mutter sich hier befindet. Ich liebe die Zigeuner; ich habe immer welche da gesehen, wo ich mich
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