42 - Waldröschen 01 - Das Geheimnis des Bettlers
befand, als Knabe, als Student, auf meinen Reisen. Und immer waren sie freundlich und ehrlich gegen mich.“
Er ahnte nicht, daß dies kein Zufall sei, sondern daß er sich unter dem Schutz der Königin einer weitverbreiteten Zigeunerverbindung befinde.
„Der Gitano ist ein Freund seiner Freunde und ein Feind seiner Feinde“, sagte der Hüter.
„Haben Sie keine Verwandten?“ fragte Sternau.
„Ich habe viele Verwandte; alle Gitanos sind meine Brüder und Schwestern. Einen Vater habe ich nicht, aber meine Mutter lebt; ihr Name ist Zarba.“
„Zarba?“ fragte Rosa schnell. „Ist es möglich!“
„Ja, Zarba“, antwortete er einfach.
„Oh, diese war sehr viel bei uns auf Rodriganda. Sie hat mir sehr oft geweissagt – als ich noch ein kleines Mädchen war“, fügte sie hinzu.
„Später nicht?“ fragte Sternau lächelnd.
Rosa erglühte vor Verlegenheit, war aber doch aufrichtig und gestand:
„Auch später einmal. Da riet sie mir – oh, daran habe ich ja gar nicht wieder gedacht! Das ist ja ganz außerordentlich merkwürdig!“
„Was?“
„Sie kannte dich!“
„Mich?“ fragte Sternau verwundert.
„Ja, dich!“
„Das wäre allerdings wunderbar. Was sagte sie?“
„Sie war auf dem Schloß, als Vater die drei Ärzte kommen ließ, um sich operieren zu lassen. Sie bat mich, mir weissagen zu dürfen, und ich reichte ihr die Hand. Da sagte sie, daß nur ein Arzt, der in Paris lebe, dem Vater helfen könne. Da dachte ich an dich und nannte deinen Namen. Sie nickte und sagte, ich solle dich kommen lassen, du seiest bei Professor Letourbier.“
„Merkwürdig!“ sagte Sternau.
„Mutter Zarba weiß alles und kennt alles“, sagte der Hüter stolz. „Sie ist die Königin des Stammes der Brinjaren und Lambadaren; sie ist mächtiger als mancher Fürst der Erde!“
„Und dennoch bleiben Sie hier?“
„Zarba wird mich rufen, wenn sie meiner bedarf.“
„Ich wünsche ihr alles Gute, habe ich doch ihrem Sohn das Leben zu verdanken, denn wenn Sie nicht mit Kurt in der Nähe gewesen wären, so wären wir verloren. Es soll mich herzlich freuen, wenn Sie mir einmal Gelegenheit geben, Ihnen dankbar zu sein. Vergessen Sie dies ja nicht!“
Er nahm Rosa am Arm und kehrte mit ihr nach dem Schloß zurück. Er konnte den Spaziergang nicht fortsetzen, da er befürchten mußte, daß der Schreck die Geliebte zu sehr angegriffen habe.
Der Hüter aber blieb mit Kurt noch einige Zeit am Platz, um den Keiler mit Reisern zu bedecken.
„Was seid ihr Deutschen doch für Leute!“ sagte Rosa. „Dieses Kind ist bereits ein vollständiger Held!“
Sie richtete dabei einen warmen, leuchtenden Blick zu ihm empor, der ihm deutlich sagte, daß sie ihn noch immer für einen Helden halte, obgleich er ihretwegen einen Augenblick gezittert hatte, aber eben auch nur ihretwegen.
Als sie nach Hause kamen, trafen sie den Jäger im Hof.
„Ludewig“, sagte Sternau, „spanne an. Draußen am Weg nach dem Eichenbühl liegt ein Keiler.“
„Ah, tot?“
„Ja. Soll er sich etwa lebendig hinlegen?“ lächelte Sternau.
„Nein, oh, ich Dummkopf dahier! Wer hat ihn geschossen?“
„Kurt.“
„Alle Teufel! Wann?“
„Vorhin. Das Tier fiel uns an, und wir wären schlecht weggekommen, wenn Kurt nicht zufälligerweise in der Nähe gewesen wäre. Ich war ja ohne alle Waffen.“
„Also das Leben gerettet dahier! Ein Prachtjunge, Herr Doktor! Nicht?“
„Ja, ich werde es ihm niemals vergessen.“
„Ich habe ihn erzogen“, bemerkte Ludewig stolz. „Übrigens hat man bereits nach Ihnen gefragt. Es kam ein Herr gefahren.“
„Wer ist es?“
„Es wird wohl der Staatsanwalt sein dahier.“
„Ich danke.“
Er trat mit Rosa in das Portal. Ludewig sah ihnen mit leuchtenden Augen nach und brummte:
„Welch ein Paar! So gibt's bei Gott kein zweites! Er wie eine Eiche, so fest und stolz, und sie wie eine Linde, so mild und schön. Wenn unsereiner so eine Frau bekommen könnte! Aber es ist schon dafür gesorgt, daß einem keine Gräfin auf den Buckel springt dahier!“
Sternau führte Rosa nach ihrem Zimmer und begab sich dann nach dem Gesellschaftsraum, wo er den Staatsanwalt bei dem Oberförster fand. Er wurde von beiden auf das herzlichste begrüßt. Der letztere fragte in seiner drastisch wohlmeinenden Weise:
„Wo laufen Sie denn schon so früh herum, Cousin? Und Ihre Kranke schleppen Sie auch mit sich fort! Wenn sie bereits so sehr außer aller Gefahr ist, so haben Sie bei Gott ein wirkliches Meisterstück
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