45 - Waldröschen 04 - Verschollen
bringt. Als Festungsgefangener avanciert man nicht!“
Nach der Tafel begann der Tanz. Röschen schwebte am Arm Kurts durch den Saal und dann mit Platen. Sie tanzte nur mit diesen beiden und einige der höheren Offiziere, denen die Etikette gebot, den Damen, welche der Herzog eingeführt hatte, diesen Ehrendienst zu erweisen. Ein anderer aber wagte nicht, sie um eine Tour zu ersuchen.
Kurz vor Mitternacht zog sich der Großherzog zurück; auch der Herzog von Olsunna fuhr mit den Seinen nach Hause, und die Exzellenzen taten dasselbe. Nun wußten sich die anderen vom Zwang frei, und die Geselligkeit nahm an Frohsinn und Ungezwungenheit bedeutend zu.
Die Herren, welche beim Duell beteiligt waren, warteten das Ende des Vergnügens nicht ab, sondern begaben sich auch nach Hause, um sich vorzubereiten. Kurt saß beim Licht in seinem Zimmer und las in des General von Clausewitz berühmten Werken. Der Morgen brach an und begann das Licht seiner Lampe zu schwächen. Da klopfte es leise an seine Tür, und auf sein „Herein!“ trat Röschen ein, vollständig zum Ausfahren gerüstet.
„Guten Morgen, Kurt!“ grüßte sie, ihm die Hand bietend. „Hast du geschlafen?“
„Nein“, antwortete er.
„Aus Angst!“ lachte sie.
„Oh, du weißt ganz gewiß, daß ich keine Angst habe.“
„Aber dein Testament hast du gemacht?“ fragte sie scherzend.
Er machte ein sehr ernstes Gesicht, als er antwortete:
„Mein liebes Röschen, ein Duell ist selbst für den besten Fechter und den sichersten Schützen eine bedenkliche Sache. Ob man auch Meister in allen Waffen sein möge, man ist doch verwundbar. Und kommt man glücklich davon, so ist der Gedanke, einen Menschen verwundet oder gar getötet zu haben, auf jeden Fall niederdrückend.“
„Du hast recht wie immer, lieber Kurt. Aber ich bringe es zu keiner Besorgnis um dich. Du bist der Schüler meines armen, verschollenen Vaters; er war ein Held, und ich kann dich mir auch nur als einen Helden denken. Und was deine Gegner betrifft, so kommt es ja nur auf dich an, alle Gewissensbisse zu vermeiden. Du hast gehört, daß sie deinen Tod wollen.“
„Aber ich werde sie nicht töten.“
„Ah! Wirklich nicht?“
„Nein.“
„Du bist großzügig, und das liebe ich sehr. Aber ich ersuche dich dringend, deine Nachsicht nicht so weit zu treiben, daß du dich selbst in Gefahr bringst. Man hat davon gesprochen, daß Ravenow ein höchst seltener Fechter und ein ausgezeichneter Schütze sei.“
„Trage keine Sorge! Ich fühle mich beiden überlegen.“
„Und meine Schleife, lieber Kurt? Sie soll dein Talisman sein.“
„Ich trage sie bereits auf meinem Herzen“, lächelte er glücklich. „Hast du dir überlegt, ob du sie zurückfordern wirst?“
„Das soll davon abhängen, ob ich mit deinem Betragen gegen deine Feinde zufrieden bin“, sagte sie. „Aber, es ist bereits halb vier Uhr.“
„Gerade zu dieser Zeit habe ich Platen bestellt.“
„Wohin?“
„An die nächste Ecke.“
„So laß uns leise gehen.“
Sie hatte ihren Morgenmantel am Arm hängen. Kurt nahm ihn, um ihn ihr über die Schulter zu legen. Er wagte sogar, die Halsagraffe zu schließen. Bei dieser Gelegenheit standen sie Gesicht nahe an Gesicht voreinander.
„Oh, Kurt, wenn dich aber dennoch eine Kugel träfe!“ sagte sie leise.
Ihre Augen zeigten einen feuchten Schimmer. Er beruhigte sie und antwortete:
„Sorge nicht, Röschen. Ich kenne ein sicheres Mittel, die Kugel des Gegners unschädlich zu machen.“
„Welches ist es?“
„Man zielt genau auf die Mündung seiner Pistole und schießt genau in demselben Augenblick wie er. Dann prallen die Kugeln aneinander und fliegen zur Seite oder nach oben und unten.“
„Aber immerhin ein gefährliches Mittel.“
„Ich habe es geübt. Komm, laß uns gehen. Du wirst mit mir zufrieden sein.“
Sie verließen das Zimmer und das Haus so leise, daß sie von keinem Bewohner des letzteren gehört wurden. Am Ende der Straße wartete Platen in einer zweispännigen Kutsche auf sie. Sein Diener machte den Kutscher. Er begrüßte sie, und sie stiegen ein. Als ihm Kurt die Hand reichte, hielt er sie fest und legte den Finger auf den Puls. Kurt ließ es lächelnd geschehen.
„Hm, das klopft so ruhig, als lägen Sie auf dem Sofa und hätten nichts zu erwarten, als eine angenehme Lektüre, mein bester Helmers“, sagte der Sekundant.
„Ich zittere nie, mein lieber Platen“, antwortete Kurt.
Aus einer Seitenstraße bogen jetzt hinter ihnen zwei
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