47 Ronin: Der Roman zum Film (German Edition)
dass weder Angst noch Ekel in ihrem Blick lag. Nur eine stille Neugier und Besorgnis, die sich langsam in Mitgefühl wandelte, als würde sie alles verstehen, was er dachte und fühlte, ohne dass ein einziges Wort zwischen ihnen fallen musste.
Im Licht der Laterne erkannte der Junge den Samuraifürsten, der hinter ihr noch immer auf seinem Pferd saß. Überrascht sah der Junge ein Lächeln über das Gesicht des Fürsten huschen, als er das Mädchen und ihn selbst beobachtete. Es war das Lächeln eines stolzen Vaters, und das eines weisen Mannes, der mit dem einverstanden war, was sie tat.
Das Mädchen hielt die Zügel des Pferds in der Hand, als die Jagdgesellschaft sich wieder in Bewegung setzte und auf den oberen Hof der Burg zuhielt. Eine Welle der Erleichterung rollte über ihn hinweg, seine Augen wollten zufallen, doch er hielt sie offen, gefesselt von ihrem Blick, der überirdischen Schönheit und der sanften Anerkennung, die sich mit so etwas wie Ehrfurcht mischte, als sie seinen Blick erwiderte. Sie ging neben ihm her, als hätte sie sein Schicksal genauso in die Hand genommen wie die Zügel des Pferds. Es war, als sage sie ihm, wohin man ihn auch brachte, solange er unter ihrem Schutz stand, konnte ihm kein Schaden, nichts Böses widerfahren.
Er erkannte, dass er sicher war, zum ersten Mal, solange er zurückdenken konnte, und schloss endlich seine Augen.
»Ihr fürchtet Euch nicht vor der Beute unserer heutigen Jagd, Madame Mika?«
Mika sah auf, als Oishi Yoshio, der Sohn des
karō
– des Burgvogts – ihres Vaters, sein Pferd vorsichtig neben sie führte.
Sie schüttelte den Kopf, verwirrt von der Frage. »Warum sollte ich?«, fragte sie. Dabei schob sie unwillkürlich ein wenig das Kinn vor, denn sie glaubte, einen Hauch von Belustigung in seiner Stimme wahrzunehmen. »Er ist nur ein Junge. Ein armer Junge ...«
Sie warf einen Blick zurück auf den kleinen Körper, der bewegungslos über dem Pferd neben ihr hing.
Oishi würde eines Tages das Amt des
karō
von seinem Vater übernehmen, aber noch war er selbst kaum mehr als ein Knabe. Er bildete sich viel auf seinen gerade erst errungenen Rang als Krieger ein. »Die Männer sind der Ansicht, dass es nicht menschlich ist – eher ein Monster oder ein Halbdämon.« Er zuckte mit den Achseln, als würde er das auch glauben, fürchte sich aber nicht im Geringsten. »Nur Euer Vater und Ihr scheinen nicht mehr als einen Jungen in ihm zu sehen.«
Sie lächelte und schüttelte den Kopf, sodass ihr langes Haar ihren Rücken umspielte. »Ich bin die Tochter meines Vaters, junger Oishi.« Sie sah, dass er schluckte, als habe er einen zu großen Bissen scharfen Wasabi genommen.
»Aber die Untergebenen Eures Vaters sind besorgt! … Verzeiht, Madame, aber wir alle stimmen überein, dass es gefährlich ist, eine fremde Kreatur wie diese in die Burg zu bringen. Schon allein seine Anwesenheit könnte Unglück über Ako bringen.«
»Ach, das ist doch Pferdemist!«, sagte sie sehr bestimmt und genoss offenbar die schockierten Gesichter der Männer um sie herum, bis ihr Blick auf das Gesicht ihres Vaters fiel. Er sah über die Schulter missbilligend zu ihr herüber und wandte sich ab, als suche er eine ihrer Kinderfrauen.
»Er ist nur ein Junge.« Sie sagte nur die Wahrheit, doch sie sah, dass ein paar der Männer sie anstarrten, einige mit Verachtung, andere mit Sorge. »Er ist nicht anders als wir.« Sie hob ihre Stimme, damit auch alle sie hören konnten.
Die Blicke, die man ihr nun zuwarf, waren eher die des Mitleids als der Zurechtweisung, doch sie missfielen ihr deswegen nicht weniger. Sie wusste, was sie bedeuteten: Dass ein kleines Mädchen, selbst wenn sie die Tochter des Fürsten war, eine wirklich närrische Person war, wenn sie die Gestalten nicht kannte, die das Böse annehmen mochte. Sie spürte plötzlich das Bedürfnis, sich zu rechtfertigen.
»Er hat Angst vor fremden Orten und Menschen, die er nicht kennt. Genau wie wir.« Sie sah den Jungen an und erinnerte sich an die gewaltige Furcht, die sie in seinen tiefbraunen Augen erkannt hatte, als sie zum ersten Mal hineinsah: Es war der Blick von jemandem gewesen, der einsam und verlassen in die Hände von Feinden geraten war.
Und sie erinnerte sich, wie sich dieser Ausdruck verändert hatte, als sich ihre Blicke gefunden hatten. Ihre Stimme wurde sanfter und beinahe wehmütig. »Mehr als alles wünscht er sich einen Ort und jemanden, zu dem er gehört … genau wie wir.«
Oishi starrte sie
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