49 Stunden
Seine Sachen waren gepackt, sein Wagen stand bereit, er war aufbruchfertig. Arriba, México!
***
Mary saß stocksteif am Richterpult. Jedes Mal, wenn ihr Blick auf Harry Castello fiel und sie sein hämisches Grinsen wahrnahm, hätte sie sich an Ort und Stelle übergeben können. Ihr war übel, ihr war schwindlig, und das nicht nur wegen der schwülen Luft an diesem Tag, dem Schlafmangel oder der Tatsache, dass sie seit zwei Tagen kaum etwas gegessen hatte.
Castellos Anblick verschaffte ihr Übelkeit. Sein braungebranntes Gesicht mit den Goldzähnen. Diese Ich-bin-der-Größte-und-niemand-kann-mir-etwas-anhaben-Ausstrahlung.
Sie kannte den Mann nicht, und doch hasste sie ihn abgrundtief. Am liebsten hätte sie sich auf ihn gestürzt und hätte ihm eine Faust nach der anderen ins Gesicht geschlagen und ihm die Augen ausgekratzt, bis sie aus ihm herausbekommen hätte, wo er Katie versteckte.
Doch sie wusste, sie hätte nicht die geringste Chance. Der Mann war gerissen, hinterhältig, betrügerisch, kriminell und mörderisch. Er wollte nur eins von ihr. Würde sie es ihm geben können? Die Mutter in ihr wollte ja, wollte es für Katie tun, doch würde die Richterin in ihr die alles entscheidenden Worte über die Lippen bringen?
Sie sah dabei zu, wie sich die Anklage und die Verteidigung einen Schlagwechsel lieferten, wie sie versuchten, sie zu überzeugen, doch sie hörte kein Wort. Es war, als sei sie zwar anwesend, aber doch nicht richtig da.
Als Anwalt und Staatsanwalt fertig waren, atmete sie tief ein.
Sie verlas die Anklageschrift: ››Der hier anwesende Harry Castello wird des zweifachen Mordes an Lucinda White und Dan White angeklagt, der Prozess beginnt am 15. Juli. Bis dahin ...‹‹ Sie räusperte sich und blickte zu Castello, dann zu Dillon, dann wieder zu Castello.
››Ich gebe dem Antrag auf Freilassung gegen Kaution statt und setze eine Kautionssumme von 250 000 Dollar fest.‹‹
Die Worte waren raus! Sie hatte sie gesagt.
Mary nahm Dillons verständnislosen Blick wahr. Sah, wie Harry Castello seine Lippen zu einem Lächeln verzog, erst ein wenig, dann immer breiter, und wie er dann laut loslachte.
Mary schlug mit dem Hammer auf das Pult und verließ den Gerichtssaal.
***
Sie hatte es tatsächlich getan, wie gefordert.
Gutes Mädchen, dachte Carlo und lächelte. Nun konnte er ihre Tochter guten Gewissens laufen lassen. Er hatte gar nicht daran denken wollen, was er mit ihr hätte machen müssen, wenn Richterin Walters nicht zur Vernunft gekommen wäre.
Durch sein Fernglas hatte er alles mit angesehen. Nun sah er, wie die Richterin den Gerichtssaal verließ und wie Harry sich freute. Ja, Harry hatte es wieder einmal geschafft, mit nicht ganz so legalen Mitteln, aber er war erst mal ein freier Mann.
Carlo hatte ihm bereits eine Nachricht in sein Anwesen geschickt, verschlüsselt natürlich, wie immer. Es tue ihm leid, aber die Geier seien wegen dieser Geschichte hinter dem Habicht her und der müsse für eine Weile in den Süden fliegen. Der kleine Vogel werde wie besprochen am Abend aus dem Käfig gelassen. Er wünsche dem Adler noch viel Glück und alles Gute!
So ganz stimmte das zwar nicht, die Bullen konnten ihm nichts nachweisen, aber es war an der Zeit, die Koffer zu packen und noch einmal neu anzufangen. Es war an der Zeit umzudenken und der Mensch zu sein, den Ben als Vater verdiente.
Auch wenn ihm der Umgang mit seinem Sohn auf immer verwehrt bleiben sollte, so wüsste wenigstens er selbst, dass er als Vater nicht gänzlich versagt hatte und könnte guten Gewissens einen Abgang von dieser Welt machen, wenn der Zeitpunkt gekommen war.
Wieder in seinem Wagen rief er Marge an.
››Es ist alles wie geplant verlaufen. Die Übergabe kann stattfinden. Heute Abend um sechs am Navy Pier.‹‹
***
Dillon hatte alles gehört, was er hören musste. Mary hatte die Kaution zwar ziemlich hoch festgesetzt, doch sie hatte sie festgesetzt! Und alle Welt wusste, dass 250 000 Dollar ein Klacks für Castello waren. Der Mann hortete Millionen.
Er sah Mary nach, wie sie den Gerichtssaal verließ, sichtlich verstört. Sofort drehte er sich um und gab Keith ein Zeichen. Der nickte und machte sich davon. Dillon selbst ging zu Marys Büro, wo sie aber nicht anzufinden war. Er wartete im Gang und sah sie wenig später aus dem Bad kommen. Sie sah blass aus. Er fühlte mit ihr, wenn sie das doch nur wüsste. Wie gern hätte er sie jetzt in den Arm genommen und gehalten, einfach nur gehalten.
›› Mary,
Weitere Kostenlose Bücher