49 Stunden
machte ihr Angst. Dort oben hätte sie bestimmt kein Auge zu bekommen. Da gab es Mäuse – zumindest hatte Katie vorhin eine gesehen, wie sie die Bretter entlang huschte und sich dann hinter einer alten Holzkiste versteckte – und es war düster und gruselig.
Doch jetzt lag sie hier, die bereits schlafende Tamara neben ihr, und sie konnte nichts anderes tun, als an ihre Mommy zu denken.
››Morgen bin ich wieder bei dir‹‹, flüsterte sie in die Dunkelheit. ››Und ich verspreche, immer auf dich zu hören und nie wieder mit einem Fremden zu sprechen und nie wieder wegzugehen, wenn ich versprochen habe, auf der Bank zu bleiben.‹‹
Sie vermisste ihre Mommy so sehr. Wusste ihre Mommy, wo sie war? Suchte sie nach ihr? Machte sie sich Sorgen? Sie musste irgendwie versuchen, sie zu erreichen. Ihr einfach nur sagen, dass es ihr gut ging und dass sie sich morgen wiedersehen würden – Bob (oder Carlo) hatte es versprochen.
Katie stand leise auf und öffnete behutsam die Tür. Es war nichts zu hören. Langsam tapste sie Schritt für Schritt zur Treppe und ging die Stufen hinunter.
Die große Uhr in der Küche war vom Mondlicht bestrahlt und so konnte Katie erkennen, dass es 00:13 Uhr war.
Oh nein, dachte sie. Es ist gerade Mitternacht vorbei, hoffentlich sind keine Geister unterwegs.
Sie schlich zum Telefon und nahm den Hörer ab. Ihre Mommy schlief vielleicht noch nicht, sie arbeitete oft bis spät in die Nacht.
Sie kannte zwar nicht ihre Handynummer, doch die Nummer von Zuhause kannte sie schon lange auswendig, Susi hatte sie ihr, genau wie die Nummer des Notrufs, immer wieder eingebläut.
Gerade als sie sich den Hörer ans Ohr hielt und der erste Ton ertönte, stand Josh vor ihr.
››Auflegen!‹‹, sagte er und sie tat es.
›› Weißt du eigentlich, was passiert, wenn ich das meiner Mom verpetze?‹‹
›› Bitte sag es ihr nicht. Bitte!‹‹, flehte Katie.
Josh grinste sie an. ››Was tust du für mich, wenn ich stillhalte?‹‹
›› Alles, wirklich, alles, was du willst.‹‹
›› Okay, ich werde mir was überlegen. Und nun hau schon ab und geh zurück ins Bett, bevor ich es doch noch meiner Mom sage.‹‹
Katie sah den Elfjährigen angstvoll an, drehte sich dann vorsichtig um und lief die Treppen hoch.
Montagmorgen
Mary war schon früh wach.
Irgendwann in der Nacht war sie auf dem Sofa aufgewacht. Susi musste sie zugedeckt haben. Sie taumelte im Dunkeln in Katies Zimmer, holte die Puppe Penny und nahm sie mit in ihr Bett, wo sie weiterschlief.
Hoffentlich haben sie ihr wenigstens ihren Beluga gelassen, dachte sie, dann fühlt sie sich vielleicht nicht ganz so allein.
Heute war der Tag aller Tage. Heute musste sie eine Entscheidung über Leben und Tod treffen. Und sie wusste noch immer nicht, wie sie sich entscheiden sollte. Natürlich, ihr Herz sagte ihr, sie solle ohne weitere Bedenken dem Mann geben, was er verlangte und sich für ihre Tochter entscheiden. Doch die Richterin in ihr sagte ihr, dass ein Mann wie Harry Castello, so skrupellos und böse, nicht auf freien Fuß kommen durfte.
In ihren Jahren als Anwältin und dann als Richterin hatte Mary immer, wirklich immer das getan, was sie für richtig erachtet hatte, unvoreingenommen, ohne sich von persönlichen Gefühlen beeinflussen zu lassen.
Oft hätte sie lieber anders entscheiden, z.B. wenn sie einen Familienvater hinter Gitter geschickt hatte, doch sie wusste, was Recht und was Unrecht war und sie wollte dieser Aufgabe, die ihr anvertraut wurde, alle Ehre erweisen.
Doch dies war eine andere Ausgangssituation. Hier ging es nicht um Recht und Unrecht, hier ging es um das Leben ihrer Tochter und um ihr eigenes. Wie könnte sie sich dagegen entscheiden, nur um des Gesetzes Willen?
Sie versuchte ohne großen Erfolg, die tiefen Augenringe zu verdecken, doch kein Make-up der Welt wäre in der Lage zu verstecken, wie viel sie in den letzten 38 Stunden geweint hatte.
Das Gute war, niemand würde verdacht schöpfen, die meisten dachten doch, sie, Richterin Walters wäre gar nicht dazu fähig zu weinen.
***
Als Susi aufwachte, war Mary schon aus dem Haus.
Sie setzte sich mit einem Becher schwarzen Kaffee allein an den Küchentisch und kam sich nutzlos vor, so verdammt nutzlos.
Erstmal, weil sie ja eigentlich um diese Uhrzeit Katie für die Schule fertig machte. Doch heute war keine Katie da, die ihre Hilfe benötigte.
Außerdem fühlte sie sich nutzlos, weil Mary ganz offensichtlich in einer schlimmen Lage war und sie
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