5 1/2 Wochen
ein und flöge nach Hause. Ich habe gerade mal die Schnauze gestrichen voll. Dabei hat doch bis jetzt immer alles wunderbar gepasst. Es wurde sogar immer besser, ich sage nur: Manel!
Ist das ein Pilgerkoller? Tja, ich muss zusehen, dass ich aus meinem Tief wieder rauskomme. Wie geht das noch? Ach ja, die Stimmung und die Gefühle, die man gerade hat, annehmen - nicht verurteilen. Denn verurteilen bedeutet Kampf. Und Kampf erzeugt Kampf. Genau das ist heute Morgen mit mir passiert. Innerlich habe ich gegen die Botschaft von Anita angekämpft und so ist das Problem durch meine persönliche Einstellung immer größer geworden. Ich bin entsetzt: Ich würde sogar nach Hause fliegen! Ich tue alles dafür, mich auch in dieser Stimmung zu mögen, mache mir klar, dass das Zweifeln, die Erschöpfung und die daraus resultierenden miesen Emotionen auch zum Camino und Pilgerleben dazugehören.
Ach, driss-egal, warum ich jetzt so drauf bin! Wer nach dem Warum fragt, sucht nur nach einer Entschuldigung und das bedeutet, dass man immer noch kämpft. Okay, es soll so sein, irgendwas habe ich draus zu lernen.
Ich verabschiede mich von den Besitzern des Hauses, die mich gestern gerettet haben und beginne die heutige Etappe. Nach den ersten geschätzten fünfhundert Metern komme ich an einem kleinen Geschäft vorbei. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite stehen zwei kleine Gartentische, mit jeweils einem Stuhl davor, auf einem schmalen Bürgersteig. Da ich jetzt schon das Gefühl habe, bereits mehrere Kilometer gelaufen zu sein, entschließe ich mich kurzerhand eine Pause einzulegen. Geht nicht? Klar geht das! Ich plane doch nichts, ich kann doch tun was und wann ich will, oder?
Der Tienda-Besitzer will gerade seinen Laden abschließen. Wild entschlossen spreche ich ihn an und bettele um eine Limonade. Die bekomme ich auch großzügig in einem Glas in die Hand gedrückt. Er will jetzt Siesta machen. Was? Am Vormittag? „Ja, die Sonne scheint und ich mache Siesta wann ich will. Egal wieviel Uhr es gerade ist“, macht er mir lachend klar. Zack! Schickt mir das Universum ein lebendes Beispiel für persönliche Freiheit und das daraus resultierende Glück. Das leere Glas soll ich nachher einfach auf seiner Fensterbank abstellen. „Adiós y buen camino!“ winkt er mir noch fröhlich zu und ist verschwunden.
Ich lasse meinen geplagten Pilgerkörper in einen der altersschwachen Stühle fallen und habe richtig Schwein gehabt, mit diesem Möbel nicht zusammenzukrachen. Die Beine dieses Plastikstuhls geben bedrohlich nach. Vorsichtig, mit ausgestrecktem Hintern und steifen Beinen, versuche ich heil aus dieser Situation wieder raus zu kommen. Das ist so grade nochmal gut gegangen. Umsichtig stelle ich den Stuhl ordentlich wieder an den Tisch und ziehe es vor, mich - vor Schmerzen leise stöhnend - auf der Bordsteinkante niederzulassen.
Ruddi setzt sich vor mich und zwinkert mir schelmisch zu, als wenn er sagen wollte: „Du hast das Problem sehr elegant gelöst. Dein Bewegungsablauf war zwar ein bisschen aufreizend, aber mir hat es gefallen. Bleibst Du noch lange hier sitzen? Dann geh ich schon mal vor! Oder kommst Du vielleicht gar nicht mehr vom Bordstein hoch? Ich kann auch Hilfe holen.“ Gesagt, getan! Er dreht sich auf den vier Pfoten um und rennt die Straße runter. Ich muss laut lachen, als er zusammen mit einem Hund in seiner Größe wieder zurückkommt. Wo hat er den denn aufgetrieben und wo ist der Kran, mit dem sie mich hochziehen wollen?
Ich sitze da, mittlerweile an die Mauer angelehnt und lach mich dank meines Kopfkinos kaputt. Der Besitzer des fremden Hundes kommt näher und wird immer schneller. Er bleibt vor mir stehen, sieht mich besorgt an und will mir helfen. Er ist verunsichert, weil mir Tränen über die Wangen laufen. Als er sich sicher ist, dass das vom Lachen kommt, reicht er mir, mittlerweile ebenfalls belustigt, seine Hand und zieht mich wieder in die Aufrechte. Er streicht mir sichtlich und akustisch deutlich amüsiert mit beiden Händen meine Klamotten wieder in Form, zieht hier ein bisschen und rupft dort ein paar Krümel weg: „Todo bien? (Alles klar?)“ Ich ringe um Fassung: „Sí, sí señor, gracias por el Rettung from the street.“
Bevor sie mich hier in einer Zwangsjacke abführen, schnalle ich meinen Rucksack wieder auf und verlasse erhobenen Hauptes Villalcázar de Sirga. Brav gehe ich weiter auf dem Fußweg neben derselben Landstraße wie gestern. Heute ist es sehr heiß, dabei haben wir
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