5 1/2 Wochen
Hoffnung in mir auf, dass sich dahinter das heiß ersehnte Calzadilla de la Cueza, mein Etappenziel, befindet - oder zumindest zu erkennen ist. So überqueren wir Hügel um Hügel, aber die Aussicht bleibt trostlos. Warum gehe ich nochmal den Jakobsweg? Um meine Grenzen kennenzulernen? Meine Füße zeigen mir seit Stunden ihre Grenzen auf. Die Schmerzen sind langsam unerträglich. Mein unglaublich willensstarker kleiner „großer Ruddi“ und ich gehen Schritt für Schritt wie in Trance.
„Immer wenn Du denkst, es geht nicht mehr, kommt am Horizont ein Dörfchen her.“ Plötzlich liegt es da, hinter einem Hügel in einer Senke. Calzadilla de la Cueza!!! Nach fünf Kilometern Landstraße und zwölf Kilometern Römerstraße kann ich nun nicht mehr. Ganz zu schweigen von den sechs Kilometern Landstraße vor Carrión de los Condes. Somit komme ich auf gute 23 gelaufene Kilometer mit Weltuntergangsstimmung und außergewöhnlich hohen Temperaturen. Da hat auch die Kopfbedeckung nicht mehr viel machen können, oder? Wäre es ohne sie vielleicht gar nicht gegangen? Wie auch immer: „In wenigen hundert Metern haben Sie das Ziel erreicht“, sagt mein inneres Navigationssystem. Ich freue mich wie noch nie auf mein „zum Glück“ gebuchtes Hotelzimmer. Ich muss gestehen: Ich wäre jetzt nicht mehr in der Lage, auf die Suche zu gehen, Hunde zu schmuggeln oder mir Geschichten auszudenken.
Gleicher Tag (insgesamt 395,2 gelaufen)
Calzadilla de la Cueza (66 Einwohner), 858 m üdM, Palencia
Pension, Doppelzimmer, 30 Euro pro Person ohne Frühstück
Torkelnd und ganz langsam - von Haltung keine Spur - ziehen wir in das kleine Dorf ein. Direkt am Ortsrand steht die Herberge, in der sich Anita befinden muss. Ich halte Ausschau nach ihr, will wissen wie es ihr geht. Sie ist aber nicht zu sehen. Fremde Pilger empfangen Ruddi und mich dafür mit Applaus. Ja, tatsächlich: Sie applaudieren. Ich erfahre, dass die meisten diesen Höllentrip nicht gemacht haben. Sie haben aber ehrliche Bewunderung und Hochachtung für jeden, der das gewagt und geschafft hat. Na, dann müssen die auch Anita empfangen haben. „Ja, sie ist hier, hat sich hingelegt. Es geht ihr gut.“ berichten sie mir.
Hundert Meter weiter links befindet sich mein Hotel. Ich werde bereits erwartet und die Hotelbesitzer freuen sich, dass ich heil angekommen bin. Hier werde ich gleich in den Arm genommen und mehrmals auf die Stirn geküsst. Ist wieder eine neue Variante, tut aber auch mal gut. Ruddi wird liebevoll begrüßt und mit frischem Wasser versorgt. In diesem wunderbar kühlen Wirtshaus verschlinge ich ein Croissant, lasse ein erfrischendes Bitter-Lemon in meinen ausgetrockneten Körper laufen und im Anschluss genieße ich meinen wohlverdienten Café con leche bei einer Zigarette.
So um die 20 Minuten später geleitet mich der Herr des Hauses zu meiner Unterkunft. Ich wehre mich nicht, als er meinen Rucksack die Treppe hinauf trägt. Ich habe genug mit mir selbst zu tun und schleppe mich mit letzter Kraft die Stufen hinauf. Ruddi ist bereits wieder topfit und als erster oben. Der freundliche Señor legt seinen Arm um meine Schulter und führt mich den Flur entlang. Im Zimmer angekommen, stellt er mein Gepäck ab und sich vor mich. Schon wieder küsst er mich auf die Stirn. Dass der sich nicht ekelt, so wie ich heute geschwitzt habe. Scheint ihm egal zu sein. Er umarmt mich, küsst wieder und wieder mein salziges Antlitz. Jetzt schaut er mir auch noch tief in die Augen... Was will der von mir?
Als ich endlich zu mir komme, stoße ich ihn mit einem entsetzten und zugleich wütenden Blick zurück und zeige wild entschlossen Richtung Tür: „Adiós, señor!“ Er lässt es sich nicht nehmen, mir nochmal beschwichtigend über das Haar zu streicheln, dreht dann aber zügig, mit einem letzten bewundernden Männerblick ab und verlässt enttäuscht den Raum. Ich „stürze“ - so schnell es eben nach so einer Wanderung geht - an die Tür und drehe den Schlüssel gleich zweimal rum. Was war das denn? Ob der gedacht hat, ich bekäme gar nichts mehr mit? Getreu dem Motto: „Man kann es ja mal versuchen.“ Was soll’s? So schnell wie der „oben“ war, ist er ja auch wieder „runtergekommen“. Also: Schwamm drüber.
Ruddi fällt in sein Bettchen und genießt die Waagerechte. Ich stelle mich unter die Dusche und genieße das lauwarme Wasser, das den Staub und Schweiß der verflixten letzten Etappe von meinem erschöpften Körper spült. Ich bleibe so lange unter
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