5 1/2 Wochen
und sorgt dafür, dass es an nichts fehlt. Wenn die Tasse leer ist, wird sofort wieder nachgeschenkt. Croissants, Butter, Marmelade und Käse gibt es ebenfalls in Hülle und Fülle. Er steckt sogar Ruddi ein Stückchen Wurst zu - und damit die Wurst besser rutscht, noch ein bisschen Weißbrot hinterher. Ich kann mich kaum loseisen, aber ich habe ja noch viel vor und nach Erledigung der Formalitäten verlasse ich dieses Hotel durch die - weit vom vornehmen Señor persönlich aufgehaltene - Pforte.
Mein erster Halt ist der Supermarkt. Ich kaufe einen Kilo-Beutel Hundefutter, eine Tüte Croissants und Wasser für unterwegs. Der erste Streckenabschnitt bis Bercianos ist zehn einsame Kilometer lang. Da sollte Proviant unbedingt dabei sein, zumal die Sonne heute aus dem stahlblauen Himmel lacht und uns wieder mächtig einheizen wird. Das Hundefutter reicht wahrscheinlich bis zum Ende der Reise, was ja praktisch ist - da muss ich mich wohl nicht mehr drum kümmern - aber ein ganzes Kilo mehr im Rucksack fällt empfindlich auf. Ich denke einfach nicht daran, dann merk ich das gleich nicht mehr.
Auch der Tierarzt ist bald gefunden. Er drückt mir fröhlich pfeifend, also sehr zuversichtlich und für mich beruhigend, ein Floh- und Zeckenschutzmittel in die Hand. Diese Flüssigkeit reibe ich Ruddi in den Nacken. Das mögen die Parasiten alle nicht und suchen künftig das Weite, noch bevor sie den Hund bestiegen haben. Super! Ich suche mir ein ruhiges Plätzchen, untersuche meinen Kleinen nochmal genauestens und picke alles Unerwünschte aus seinem Fell, in der Hoffnung, dass es das letzte Mal ist.
Beim Auszug aus Sahagún wird mir nochmal die Schönheit dieses Städtchens, das im 10. Jahrhundert entstand, bewusst. Gegen halb elf lasse ich es hinter mir und freue mich auf die Dinge, die da kommen mögen.
Es ist eine schnurgerade Strecke. Für den Pilger und andere Fußgänger gibt es einen weißen Kiesweg neben der kaum befahrenen Straße. Wenige ganz junge Bäume säumen den Straßenrand. Sie werfen kaum Schatten und die Sonne hat kein Erbarmen. Ich fahre einen Gang zurück und mache viele kurze Pausen, damit Ruddi sich zwischendurch erholen kann. Ich frage mich, ob ich die Pausen auch brauche oder ob ich sie wirklich nur für meinen kleinen Schwarzen mache!? Ich finde keine Antwort darauf. Im Grunde ist es auch egal. Aber mir wird klar, wie sich die Energien miteinander verbinden. Sobald ich sehe, dass Ruddi nur noch hinter mir her trottet, anstatt fröhlich vor mir her zu laufen, verlässt mich auch unverzüglich die Kraft. Es kommt genauso oft vor, dass ich denke „es geht nicht mehr“, mein Hund aber frohen Mutes und voller Energie unterwegs ist. Wenn ich mich darauf einlasse, kann ich aus diesem Anblick neue Kraft ziehen. Ich frage mich, wie oft Ruddi sich von meiner Energie anstecken lässt. Man sagt Hunden ja nach, dass sie für ihre Menschen eher sterben, als aufzugeben was von ihnen verlangt wird. Das scheint zu stimmen, denn er bleibt niemals einfach irgendwo liegen, sondern trottet mir nach, bis ich STOP sage. Macht er aber vielleicht auch manchmal schlapp, weil ich ausstrahle, dass ich eigentlich gar nicht mehr kann? Laufe ich manchmal weiter und ignoriere die Zeichen meines Körpers, nur um ein Ziel zu erreichen? Ich habe mein Leben lang gelernt, die Zähne zusammenzubeißen und weiterzumachen - auch, wenn’s wehtut. „Halt durch“ war mein Wegbegleiter bis heute. Ohne Ruddi liefe ich wahrscheinlich so manchen Kilometer ohne Pause. Aber wenn ich ehrlich bin, tun mir die kurzen Stopps jedes Mal gut, obwohl ich bisher dachte, ich mach es nur für ihn.
Nach geschätzten fünf Kilometern und drei oder vier vorbeigefahrenen Autos, fällt es mir immer schwerer über die Kieselsteine zu laufen. Ich spüre jeden einzelnen durch die Schuhsohle. Meine Füße wollen das nicht mehr. Ich schau mich um und entschließe mich, auf der Straße weiterzulaufen. In dieser Einsamkeit höre ich ein herannahendes Auto schon aus weiter Ferne. Kennen Sie das Gefühl in ein angenehm warmes, sich dem Körper anschmiegendes Wasserbett zu steigen, nachdem sie vorher auf einer kalten, harten Pritsche gelegen haben? So krass empfinde ich gerade den Unterschied des Laufgefühls vom unebenen Kieselsteinweg zum glatten Asphalt. Eine unglaubliche Erleichterung. Warum nicht gleich so?
Ich bin jetzt seit gut drei Stunden unterwegs und habe noch keine Menschenseele gesehen, ausgenommen die Autofahrer, die ich an einer Hand abzählen kann.
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