5 1/2 Wochen
Weit vor mir entdecke ich einen Mann, der auf seinen Stock gestützt, die Straße entlang geht. Ich freue mich darauf, in naher Zukunft diesem Menschen „Hola“ sagen zu können Vielleicht haben wir uns ja noch ein bisschen was anderes zu erzählen Er wohnt doch bestimmt im nächsten Ort, in Bercianos. Der Señor wird mir die Bar mit dem besten Café con leche weit und breit empfehlen können.
Er befindet sich in Höhe eines kleinen Waldstückes und genießt den Anblick seiner Heimat. Man sieht es ihm tatsächlich schon von weitem an. Ich komme immer näher. Er strahlt eine unglaubliche Zufriedenheit und innere Ruhe aus. Auch er freut sich, mich zu sehen. „Hola! Qué buena compañía. Qué tal?“ Er stellt mir viele Fragen über mich, Ruddi, meine Erlebnisse und Erfahrungen auf dem Camino. Ich antworte mit einem Gemisch von Deutsch, Spanisch, Englisch, Gestik, Mimik, Händen und Füßen. Er hat seine helle Freude daran. Ich höre von ihm, dass er hier aufgewachsen ist und wie sehr er seine Heimat liebt. Er ist 87 Jahre alt und hatte drei Kinder. Ein Sohn ist vor vielen Jahren bereits an einer Krankheit gestorben. Eine Tochter ist ausgewandert. Sie lebt mit ihrem Mann in Australien und er sieht sie nur noch alle paar Jahre mal. Aber der zweite Sohn betreibt ein Geschäft in Sahagún. Ich sehe in seinen Augen, wie stolz er darauf ist. Jeden Mittag geht er spazieren und wenn er nach Hause kommt, hat seine Frau lecker gekocht. Er hat die beste Frau der Welt - genau wie mein Vater!
Pilger sieht er hier nicht so oft, weil es einen zweiten parallelen Pilgerweg nach Mansilla de la Mulas gibt. Den wählen die meisten, weil er weiter weg von der Schnellstraße verläuft. Ach, guck an, ist mir noch gar nicht wirklich aufgefallen. Etwa drei- bis vierhundert Meter parallel der Straße, auf der wir uns gerade befinden, steppt der Bär. Wenn man genau hinsieht, gibt es sie. Da sind wirklich viele Autos unterwegs. Der Wind steht heute günstig, so dass ich die Motorengeräusche kaum wahrnehmen kann. Tja! Man sieht und hört immer nur das, was man auch sehen und hören will.
Ganz gemütlich erreichen wir tatsächlich zusammen Bercianos. Der Señor zeigt mir noch, wo sich die nächste Bar befindet und ich meinen Café con leche genießen kann. Ich habe keine Ahnung, wie lange wir zusammen unterwegs waren, aber es hat mir gutgetan.
In der Bar angekommen, lasse ich mich auf einen Stuhl fallen und habe das Gefühl, nie wieder aufstehen zu können. Ja, mein Gott! Es waren zehn Kilometer am Stück bei hohen Temperaturen und gleichbleibender Landschaft - flach und schnurgeradeaus. Im Sitzen bereite ich Ruddi seinen Liegeplatz. Hier ist kaum was los. Ein paar einheimische haben sich auf die Barhocker gefläzt und lassen sich vom Fernseher berieseln. Ich bin die einzige Pilgerin. Die Wirtin ist so nett und bringt mir meinen Kaffee an den Tisch. Dabei entdeckt sie Ruddi’s Napf, nimmt ihn, füllt frisches Wasser ein und legt einige Erdnüsse daneben, die er sich sofort dankbar schmecken lässt.
Als mir nach fast einer Stunde bewusst wird, dass ich noch acht Kilometer laufen will, gibt der Stuhl mich wieder frei. Am Weg ändert sich nichts. Alles bleibt, wie es heute Morgen angefangen hat. Gegen sieben Uhr erreiche ich El Burgo Ranero.
gleicher Tag (insgesamt 436,2 km gelaufen)
El Burgo Ranero (273 Einwohner), 878 m üdM, León
Herberge, Einzelzimmer, 15 Euro pro Person ohne Frühstück
Als erstes fällt mir auf, dass in diesem Ort ungewohnt viele LKW unterwegs sind. Sie biegen alle in die gleiche Straße ab. Nicht, dass Sie jetzt irgendeine spannende LKW-Geschichte erwartet - nein, es fällt mir einfach nur auf und ich will, dass Sie das wissen. Das war’s!
Gleich am Ortseingang befinden sich mehrere Pensionen, Cafés und Herbergen. Alle haben Tische und Stühle draußen stehen, sehen einladend aus und es sind mindestens eine Million Pilger im Umkreis von zweihundert Metern unterwegs. Ich bin mal wieder tief beeindruckt. Wo waren die den ganzen Tag? Der parallele Pilgerweg verläuft nicht über dieses Dörfchen. Egal jetzt! Ich freu mich! Der erste freie Tisch vor einem der Lokale ist meiner. Kaum sitze ich, weiß ich auch schon, dass das hier für heute Abend mein neues Zuhause sein soll. Ich muss nur gleich mal nachfragen, ob sie Zimmer vermieten. Zunächst bestell ich mir aber ein kühles Getränk und lasse die betriebsame Kulisse auf mich wirken.
Direkt mir gegenüber befindet sich eine Schafherde mit ganz vielen, ganz
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