5 Auch Geister können sich verlieben
mit einem kleinen Zornesfunkeln, »hättest dich nicht von mehreren Typen knutschen lassen sollen …«
»Entschuldigung«, ging Craig dazwischen. »Aber könnte mir vielleicht mal jemand erklären, was …«
»Klappe!«, keiften Paul und ich ihn wie aus einem Munde an.
Dann wandte ich mich wieder an Paul. »Hör zu«, sagte ich verlegen. »Was bei dir im Zimmer passiert ist, war ein Fehler. Okay? Ich hab mich blöderweise hinreißen lassen. Aber das heißt noch lange nicht, dass zwischen uns was läuft.«
»Du hast dich hinreißen lassen«, wiederholte Paul tonlos.
»Ja, genau«, sagte ich. Die Härchen an meinem Nacken stellten sich auf. Die Nebelschwaden, die sich um meine Beine schlängelten, gefielen mir ganz und gar nicht. Die Grabesstille auch nicht. Und am allerwenigsten gefiel es mir, dass ich kaum ein paar Schritte weit sehen konnte. Wie sollte ich wissen, wo sich im Boden vielleicht abgrundtiefe Löcher auftaten?
»Und was, wenn ich möchte , dass etwas zwischen uns läuft?«, fragte Paul.
»Dein Pech«, antwortete ich kurz angebunden.
Er sah zu Craig hinüber, der langsam den Flur erkundete und interessiert die Türen zu beiden Seiten betrachtete.
»Was ist mit dem Wechseln?«, fragte Paul.
»Was soll damit sein?«
»Ich hab dir doch erzählt, wie es funktioniert, oder nicht? Es gibt noch viele andere Sachen, die ich dir erklären
kann. Sachen, von denen du bisher nicht mal zu träumen gewagt hast.«
Ich sah ihn blinzelnd an. Ich dachte daran, was er damals in seinem Zimmer gesagt hatte – über Seelenwanderung. Ein Teil von mir hätte zu gern gewusst, wie das ging. Sehr, sehr gern …
Aber ein ebenso großer Teil von mir wollte nichts, aber auch gar nichts mehr mit Paul Slater zu tun haben.
»Ach komm schon, Suze«, drängte Paul. »Gib’s zu, so neugierig warst du in deinem ganzen Leben noch nicht. Solange du zurückdenken kannst, hast du dich schon immer gefragt, wer oder was du bist. Und ich habe die Antworten auf deine Fragen. Ich habe das Wissen. Wenn du mich lässt, kann ich dir alles beibringen.«
Ich kniff die Augen zusammen. »Welch großzügiges Angebot. Und was springt für dich dabei raus?«
»Das Vergnügen, in deiner Gesellschaft zu sein«, antwortete er lächelnd.
Er hatte es leichthin gesagt, aber ich wusste, dass es alles andere als leichthin war. Und deswegen sträubte sich – trotz meiner Neugier – alles in mir dagegen, sein Angebot anzunehmen. Die Sache hatte nämlich einen Haken. Und der bestand darin, dass ich mit Paul Slater würde Zeit verbringen müssen.
Aber vielleicht war es das wert. Oder zumindest
halbwegs. Und zwar nicht nur, weil ich dadurch vielleicht Einblick in die wahre Natur unserer sogenannten Gabe bekommen würde, sondern auch, weil ich dann vielleicht endlich dafür sorgen konnte, dass Jesse in Sicherheit war – zumindest vor Paul.
»Okay«, lenkte ich ein.
Zu sagen, dass Paul überrascht war, wäre die Untertreibung des Jahrhunderts. Doch bevor er ein Wort sagen konnte, fügte ich grimmig hinzu: »Aber du lässt Jesse von jetzt an in Ruhe. Das meine ich ernst. Keine Beleidigungen mehr. Keine Kämpfe. Und keine Exorzismen.«
Paul zog eine seiner dunklen Augenbrauen hoch und sagte gedehnt: »Das ist also deine Bedingung?«
»Ja, das ist meine Bedingung.«
Paul schwieg so lange, dass ich schon dachte, er wolle sein Angebot wieder zurückziehen. Sollte mir recht sein. Meinetwegen. Nur der Teil, der Jesse betraf, um den wäre es schade.
Aber dann zuckte Paul mit den Schultern. »Also gut.«
Ich konnte es kaum glauben. Hatte ich soeben – wenngleich unter großen persönlichen Opfern – dafür gesorgt, dass Jesse endlich seine Ruhe hatte?
Die lässige Art, wie Paul mit der ganzen Sache umging, bestärkte mich in diesem Glauben. Wie auch seine Antwort auf Craigs Frage, der gerade an einem
der Türknäufe rüttelte. »Hey, was ist eigentlich hinter diesen Türen?«
»Deine wohlverdiente Belohnung«, entgegnete Paul grinsend.
Craig blickte ihn über die Schulter hinweg an. »Ehrlich? Meine Belohnung?«
»Klar.«
»Hör nicht auf ihn, Craig«, sagte ich. »Er weiß auch nicht, was hinter den Türen ist. Könnte deine wohlverdiente Belohnung sein. Oder auch dein nächstes Leben. Das weiß niemand. Man kann nur reingehen. Rausgekommen ist bisher noch keiner.«
Craig starrte fasziniert auf die Tür vor seiner Nase. »Mein nächstes Leben also …?«
»Oder die Erlösung«, sagte Paul. »Oder aber, je nachdem wie du dich zu Lebzeiten
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