5 Jahre - 5 Geschichten: Die besten Storys aus dem LYX-Schreibwettbewerb (German Edition)
und stellte mich direkt neben ihn, das Messer weiter auf ihn gerichtet.
»Dabei fängt es gerade an, mir zu gefallen.« Höhnisch blickte er mich an, und ich konzentrierte mich darauf, nicht auf das dünne Rinnsal Blut zu achten, das an seinem Hals hinunterlief. Die Schmerzen zeigte er nicht.
»Was suchst du hier? Ich nehme nicht an, dass du zu Kaffee und Kuchen erschienen bist, um über die guten alten Zeiten zu plaudern.« Gespielt gastfreundlich deutete er auf die morsch aussehenden Holzstühle.
»Wo sind denn nur unsere Manieren? Setz dich doch.«
»Ich bleibe lieber stehen«, sagte ich, überrascht von seinem Sinneswandel. Mikael war zwar ein irrer Satanist, aber nicht dumm. Ihm musste klar sein, dass ich mit einem Anliegen hier war, und da er mir noch keinen seiner Schoßhunde auf den Hals gehetzt hatte, war klar, dass er sich auch etwas von meiner Anwesenheit erhoffte.
»Du fragst dich, wieso ich mich nicht wehre.«
»Und du fragst dich, was ich hier suche«, versetzte ich und ließ mich auf der Tischkante nieder.
»Ich werde dir nicht helfen. Die Frage, die mich beschäftigt, ist, wie ich dich so schnell wie möglich loswerde, und ich habe beschlossen, dich lieber gehen zu lassen und mir unseren Kampf noch eine Weile aufzusparen. Vorfreude ist schließlich die schönste Freude, nicht wahr? Was mir jedoch nicht passt, ist, dass du dich kein einziges Mal gefragt hast, wie du hier lebend wieder hinauskommst. Und du hast nicht einmal gefragt, wie es mir geht.«
Ich stieß ein humorloses Lachen aus. »Ich bin hier, um etwas abzuholen, und ich werde nicht ohne es gehen.«
Sein Befinden hingegen interessierte mich etwa so sehr wie das Paarungsverhalten einheimischer Blattschneideameisen.
»Nehmen wir an, ich würde etwas besitzen, das dir gehört. Nehmen wir an, es würde brennen. Nehmen wir an, es würde brennen, und ich wäre im Besitz von Wasser. Grace, ich würde das Wasser trinken.«
Langsam verlor ich die Nerven.
»Ich weiß, dass du Oscars Besitztümer nicht verbrannt hast, Mikael.«
»Dann, meine liebe Grace, handelt es sich um den Besitz meines Bruders. Nicht um deinen.«
»Es handelt sich um kein privates Besitztum. Vielmehr um etwas, das dem Institut gehört.«
Mikael gab ein verächtliches Schnauben von sich und griff nach seinem Weinglas. Mehr und mehr zweifelte ich daran, dass es sich wirklich um Wein handelte.
»Dann hast du noch weniger Anrecht darauf. Des Weiteren behindert es mich beim Trinken, wenn mir jemand ein Messer an den Hals hält«, entgegnete er trocken und blickte verächtlich auf das Messer, als hätte er seine Schneide bereits als zu stumpf befunden, um ihn zu töten. Was auch der Fall war.
»Das müsste ich nicht, wenn ich keinen Anlass dazu hätte.«
»Bei aller Höflichkeit, Miss Darcy – du bist es, die in mein Haus eingedrungen ist und mir ein Messer an die Kehle gehalten hat. Hausfriedensbruch und Körperverletzung sollten unter der Würde einer Leiterin sein.« Bedauerlicherweise hatte er vollkommen recht. Also atmete ich tief durch und setzte mein Pokerface auf.
»Nehmen wir an, du würdest die Dokumente deines Bruders besitzen. Und vielleicht irre ich mich, aber meine Anwesenheit hier trägt zu deinem Unbehagen bei. Nehmen wir also weiter an, du überlässt mir dieses Dokument, das für dich vollkommen wertlos ist …«
»In dem Moment, in dem es für dich wertvoll wurde, wurde es das auch für mich«, fauchte er dazwischen.
»Und nehmen wir an, du würdest es mir nicht übergeben und ich wäre gezwungen, mit ein paar meiner Leute wiederzukommen, sagen wir fünfzig. Bei einer solchen Durchsuchung, zumal auf diesem engen Raum, würde sicher etwas zu Bruch gehen, meinst du nicht?«
»Drohst du mir, mich umbringen zu lassen, weil du selbst zu schwach dazu bist?«, brüllte er und warf sein halbvolles Glas wütend an meinem Kopf vorbei und gegen die Wand. Der Löwe war geweckt. Und diesmal war kein Drache da, der uns vor ihm beschützte. Doch ich fürchtete ihn nicht mehr. Ich war kein Kind. Er hatte ja recht, ich hatte mich zu kindischem Verhalten hinreißen lassen, hatte nicht einmal versucht, sachlich zu verhandeln. Ich stellte mir vor, was Oscar wohl dazu gesagt hätte. Ich hatte durch mein unüberlegtes Handeln genug Schwäche gezeigt. Genug Zeit verloren. Es ging hier um das Institut und nicht um meinen Hass auf Mikael Abrahms. Seine Söldner nahmen uns mit dem Einkassieren der kriminellen Seelen einen großen Teil der Arbeit ab, das durfte ich nicht
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