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50 Rituale für das Leben

Titel: 50 Rituale für das Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anselm Gruen
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anderen Menschen gegenüber etwas zu
     tun und zu sagen, was wir normalerweise nicht tun. Sie führen uns über die Schwelle zum anderen. Sie überwinden die Hemmschwelle, die wir oft empfinden,
     wenn wir dem anderen etwas sehr Persönliches sagen. Aber bei einem Geburtstagswunsch trauen wir uns, mehr zu sagen, eine solche feste Form «erlaubt» und
     erleichtert es uns, persönlich zu werden. Rituale ermöglichen und schaffen Nähe. Aber sie geben uns auch die Sicherheit, dass wir nicht mehr sagen müssen,
     als wir können. Sie laden uns ein, das auszudrücken, was wir gerade fühlen und was wir für den anderen empfinden.

    Rituale vertiefen Beziehungen. In den persönlichen Ritualen – etwa bei der Feier des Geburtstags, des Namenstags, eines
     Jubiläums – geht es um unsere Beziehung zum anderen. Der Feiernde wird gesehen, wahrgenommen. Das, was ihnausmacht, wird in Worte
     gefasst. Das vertieft die Beziehung zum anderen. Wenn ein Ritual gelungen ist – etwa eine Geburtstagsfeier –, dann vertiefen sich bestehende
     Beziehungen, und es entstehen neue Beziehungen zwischen den Feiernden. Inzwischen haben Unternehmen entdeckt, dass der Wegfall von Ritualen – oft genug
     aus Rationalisierungsgründen – die Leistung der Mitarbeiter beeinträchtigt. Wenn die menschlichen Beziehungen in einem Unternehmen außer Acht gelassen
     werden, lässt auch die Leistung nach.

    Rituale stiften Identität. Ich beginne den Tag mit meinem persönlichen Ritual. Ich zelebriere gleichsam meinen Tag und mein
     Leben. Ich fühle, dass ich selber lebe, anstatt gelebt zu werden. Ich habe Lust, meinem Leben eine bestimmte Form, eine klare Prägung zu geben. Ich
     empfinde und erfahre mich selbst in den Ritualen. Rituale stiften aber nicht nur die persönliche Identität eines Einzelnen. Wenn sie in dem entsprechenden
     sozialen Umfeld stattfinden, begründen oder vertiefen sie auch eine Familienidentität oder eine Firmenidentität. Sie geben uns das Gefühl, dass die Form,
     wie wir miteinander gemeinsam leben, etwas Wichtiges und nicht nur etwas Äußerliches ist. Die Erfahrung dabei ist: Wir nehmen unser Miteinander noch
     ernst. Wir schätzen es. Daher drücken wir es in Ritualen aus. Die Alten sagen: Unser Leben ist ein beständiges Fest. Daher feiern wir es in Ritualen und
     kommen so mit den Wurzeln unseres Lebens und unserer persönlichen und gemeinsamen Identität in Berührung.

    Rituale schaffen einen heiligen Ort und eine heilige Zeit. Heilig ist das, was dem profanen Alltag der Welt entzogen ist. Es ist etwas, worüber diese Welt des Alltäglichen mit all seinenAnsprüchen keine Macht hat. Im Verständnis der Griechen vermag nur das Heilige zu heilen. Die heilige Zeit ist eine Zeit, die mir gehört, zu der die Welt keinen Zutritt hat, über die die anderen Menschen nicht verfügen können. Die heilige Zeit, die ich mir nehme, wenn ich ein Ritual vollziehe, lässt mich frei atmen. Niemand will jetzt etwas von mir. Die Sorgen um andere Menschen sind nicht wichtig. Ich vollziehe dieses Ritual mitten in der Zeit und erlebe in der Zeit eine heilige Zeit, die dem Zugriff der gewöhnlichen messbaren und unter dem Nützlichkeitsaspekt bewerteten Zeit entzogen ist. Heiko Ernst hat einmal gesagt: Im Ritual «kommt die Welt für eine Zeit lang zur Ruhe und wir in ihr». Die heilige Zeit ist immer auch eine Zeit der Ruhe, eine Zeit, in der wir teilhaben an der Sabbatruhe Gottes. Die heilige Zeit, die uns das Ritual schenkt, befreit uns von jedem Termindruck. Da herrscht nicht chronos , die gemessene und getaktete Zeit, die sich nach dem Chronometer richtet und die mich – nach dem antiken Mythos – verschlingen möchte, sondern kairos : angenehme Zeit, geschenkte Zeit, Zeit der Gnade, heilige Zeit, die ich genießen kann. In der heiligen Zeit komme ich mit dem heilen Kern in mir in Berührung. Dort erfahre ich, dass in mir ein heiliger Raum ist, der dem Zugriff der Welt entzogen ist.

    Rituale sind Erinnerungszeichen. Sie bringen das, was ich vom Kopf her weiß, in mein Herz und in mein Inneres. Sie erinnern mich daran, dass Gott bei mir und in mir ist. Wir brauchen solche Erinnerungszeichen, damit wir nicht vergessen, wer wir eigentlich sind: Söhne und Töchter Gottes. Sie rufen uns ins Bewusstsein, dass Gott mit uns geht und uns auf unseren Wegen schützt und segnet. Als Kind war ich immer berührt, wenn mein Vater bei gemeinsamen Spaziergängenimmer dann den Hut zog, wenn er an einer Kirche vorbeiging. Bei dieser Geste

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