52 Verfuehrungen - Ein Paar Holt Sich Die Lust Zurueck -
Strand hat auch mit Regenjacke etwas Erregendes.
Wir fahren, bis die Bebauung spärlicher wird, und parken auf einem verlassenen Rastplatz. Das Meer liegt jetzt hinter einer steilen Böschung verborgen, und wir steigen rutschige Holzstufen hinauf. Unter uns zeichnen sich die Wellenbrecher schwarz vor dem schmalen Streifen des blau-orangefarbenen Himmels ab. Es herrscht Ebbe, die uns den Meeresboden und unzählige flache Lachen zeigt, in denen sich der Sonnenuntergang spiegelt. Wir laufen gemeinsam zum Kies hinunter und stehen stumm da, während das Wasser vor uns leise plätschert und die Vögel hinter uns singen. In Erwartung des nächsten Gewitters liegt eine fast elektrische Spannung in der Luft.
Ich lehne mich an einen ramponierten Holzpfosten und ziehe Herbert an mich. Wir küssen uns, und er schiebt meinen Rock hoch. Dann drückt er seinen hart werdenden Penis zwischen meine Schenkel. Er neigt sich mir entgegen. Mir kommt es vor, als hätte ich elektrostatische Energie aus der Luft in mich aufgenommen.
Ich weiß, dass Herbert heute Abend seine Lieblingserinnerung wiederholen möchte, an die Nacht, als wir uns nach der verspäteten Hochzeitsfeier am Strand geliebt haben. Aber es soll offenbar nicht sein, denn während wir uns küssen, hören wir ferne Stimmen, und zwei Gestalten tauchen auf dem Fußweg oben an der Böschung auf. Eilig schließt Herbert den Reißverschluss seiner Jeans, und ich sage: »Na, vielleicht machen wir uns besser auf den Heimweg in unser Bett und merken uns das hier als das beste Vorspiel aller Zeiten.«
Bevor wir uns auf den Rückweg zum Auto machen, drehen wir uns noch einmal um und werfen einen letzten Blick aufs Meer. Über uns haben die Wolken sich verzogen und einem Himmel voller glitzernder Sterne Platz gemacht.
September
D er erste Arbeitstag nach den Schulferien. Meine Arbeit wird staatlich finanziert, und dieses Jahr müssen wir uns auf Kürzungen gefasst machen. Ich hatte gehofft, bis dahin einen anderen Job zu haben, aber es gibt im Moment einfach nichts. Daher fühle ich mich wie eine leichte Beute.
Als Erstes ein Meeting. Mein Kunde kommt 45 Minuten zu spät, und das, wo ich eine einstündige Anfahrt in Kauf genommen habe. Ich bin wütend und bekomme nicht einmal ein Glas Wasser angeboten.
Dann wieder nach Hause, um den riesigen Berg aus Papieren in Angriff zu nehmen. Die Kreditkartenrechnung ist eine böse Überraschung. Die Wäsche müsste dringend erledigt werden. Der Boden meines Arbeitszimmers ist mit Tüten voller Trödel übersät, die für einen Flohmarkt gedacht sind, bei dem ich in der kommenden Woche aushelfen will. Meine Mutter, die in Spanien lebt, hat mir in einer E-Mail
geschrieben, dass es ihrem Rücken viel schlechter geht, seit wir uns zuletzt gesehen haben, und dass sie morgens Mühe hat, sich anzuziehen. Sie kommt nächste Woche zu Besuch, also besorge ich ihr einen Termin bei einer hiesigen Physiotherapeutin und hoffe, dass sie sich darüber freuen wird. Außerdem mache ich mir Gedanken wegen des Bettes, in dem sie schlafen soll, und überlege mir, dass ich ein neues kaufen muss. Ich wünschte, meine Mutter würde nicht so weit weg leben.
Danach beginne ich, meine To-do-Liste abzuarbeiten. Meine Zahnärztin hat vergessen, eine Überweisung an den Kieferorthopäden zu schreiben, wegen meines Kiefers, der sich auf schmerzhafte Weise nach links verschiebt. Ich hole tief Luft und rufe als Nächstes in der Praxis meines Gynäkologen an. Von dort habe ich seit sieben Wochen nichts gehört. »Die für die Verwaltung zuständige Arzthelferin hat plötzlich gekündigt«, erfahre ich, »und wir stehen hier vor einem Wust von Papierkram.«
»Hören Sie«, sage ich, »ich warte auf den Befund meiner dritten Biopsie wegen Verdachts auf Gebärmutterhalskrebs. Können Sie mir also nicht vielleicht doch nur kurz die Ergebnisse mitteilen?«
»Nein. Wir wissen nicht mal, ob sie schon in den Computer eingegeben sind. Versuchen Sie es doch Ende nächster Woche nochmal.«
Da beginne ich mit einer Tirade darüber, wie lange sich das Ganze jetzt schon hinzieht, wie ich mich hin und her geschoben fühle und wie sehr mich das ankotzt, mittendrin
verstumme ich jedoch. Denn die Frau am anderen Ende der Leitung ist ebenfalls verstummt. »Tut mir leid«, sage ich, »ich weiß, dass Sie nichts dafür können.«
»Es ist schrecklich hier«, antwortet sie leise. »Auf uns stürzt gerade so viel ein, und wir sind einfach nicht in der Lage, damit fertig zu werden.«
In
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