Lila Black 02 - Unter Strom
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Lila Black saß im Büro von Dr. Williams, ihrer Psychologin. Die Erinnerungen an ihre letzte Mission wurden über einen ihrer WiFi-Kanäle heruntergeladen; ihre KI hatte die wichtigsten Fakten für Williams’ Analyse aufbereitet; die Statistiken für das medizinische Team zusammengestellt, das ihre Gesundheit überwachte; die cybertronischen Werte tabellarisch für die technischen Experten aufgelistet und die Waffen- und Panzerungsleistung an ihren Waffenmeister weitergegeben.
Dr. Williams las die Informationen, die vor ihr auf einem Flatscreen abliefen. Lila spielte unterdessen mit dem alten Zauberwürfel der Doktorin. Es war zwei Tage her, seit sie von ihrer ersten Mission zurückgekehrt war, einer Mission, die beinahe ein totales Desaster geworden wäre; sie hatte als Bodyguard für den berühmtesten Rockstar Otopias gearbeitet. Nun ja, eigentlich war es fast drei Tage her, aber sie war nicht bereit, die ersten zwölf Stunden preiszugeben, in denen sie sich allein in einem Luxushotel verkrochen hatte. Das war persönlich, und darum hatte sie es aus dem Speicher ihrer KI gelöscht.
Es gab eine Menge anderer Dinge, die sie ebenfalls gern gelöscht hätte. Ganz oben auf ihrer Liste stand der kaltblütige Mord an einem Freund, zusammen mit der Vorstellung von den angewiderten Gesichtern ihrer Familie – so, dachte sie, würden sie aussehen, wenn sie jemals herausfänden, was sie getan hatte und was sie geworden war: der erste Cyborg-Agent des Geheimdienstes Otopias. Sie glaubten bisher, sie wäre im Einsatz vermisst – in Alfheim, dem Elfenuniversum.
In diesen seit langem vergangenen Tagen der Unschuld war Lila als diplomatische Gesandte dorthin gereist. Es war eine tolle Aufgabe gewesen, denn Alfheim war eines der am seltensten besuchten Reiche und stand nur dem diplomatischen Corps von Otopia offen. Sie war einer der ersten Menschen gewesen, den man über die Grenze ließ. Aber die hochrangigen Treffen, bei denen ein Abkommen geschlossen werden sollte, das grenzüberschreitende Aktivitäten erlaubte, waren gescheitert. Lila kannte die Details nicht, doch hatte sie eingewilligt, für den otopischen Geheimdienst zu spionieren, und das war ihr als ein immens spannendes Abenteuer erschienen. Sie hatte nur darüber berichten müssen, was sie während ihrer normalen Arbeit sah.
Aber dann hatte sie einen anderen Spion getroffen, Vincent, und war weit ins Land gereist, um Gerüchten über einen seltsamen magischen Handel nachzugehen – magische Artefakte der Waffenklasse, die ins Herz Alfheims geschmuggelt wurden. Sie waren von Agenten des elfischen Geheimdienstes erwischt worden, des Jayon Daga. Vincent war tot. Lila hatte um Haaresbreite überlebt, ihr Körper war von einem magischen Angriff beinahe vollständig vernichtet worden. Und dann war sie zurückgeschickt worden, ein Klumpen rohen Fleischs, als Warnung an Otopia, und der otopische Geheimdienst hatte sie in eine Multimilliarden-Dollar-Heldin verwandelt. Und das war nur der Anfang.
In den ersten Tagen war Lila froh gewesen, dass ihre Familie die Wahrheit niemals erfahren würde. Sie war froh, dass ihre Psychoprofile durch ihre Scham und Abscheu in den roten Bereich getrieben wurden, denn sie glaubte nicht, dass sie laut über sie sprechen könnte.
Der Luxus von Selbstvorwürfen steht dir nicht zu, sagte eine vertraute Stimme in der Nähe ihres Herzens. Wir sind bereits der Pflicht versklavt und müssen sie erdulden und weitermachen.
Du bist besser still, antwortete Lila in der stummen Sprache ihrer Gedanken. Ich weiß nicht, wie viel die KI von dir mitbekommt. Sie seufzte, ohne nachzudenken, laut, und Williams schaute sie an.
Lila nickte der weißhaarigen alten Frau zu, wohl wissend, dass der Inhalt ihres Berichts Grund genug für einige aufrichtige Seufzer lieferte. Williams käme nicht automatisch darauf, dass der Grund für diesen speziellen ein »toter« Elf in ihrer Brust war.
Auf ihre stummen Worte hin rollte sich Tath gehorsam zu einem langsam rotierenden Wirbel grüner Energie zusammen. Sein Andalun- Körper war alles, was noch von ihm übrig war, seit Lilas zeitweiliger Kollege, der Elfenagent Dar, ihn ermordet hatte. Tath war ein Nekromant und hatte damit das unter Elfen einmalige Talent, die Hülle seiner ätherischen Identität wechseln zu können. Sein Andalun, der magische Körper, den alle Elfen besaßen, war aus seinem toten Körper in den ihren gesprungen, als sie sein Gesicht aus Mitleid geküsst hatte.
Bereust du
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