55 - Die Liebe des Ulanen 01 - Im Auftrag Seiner Majestät
Dachkämmerchens und ließ seinen Blick den dahineilenden Wolken nachschweifen. Aber er dachte an etwas ganz anderes als an die feuchten Gebilde der Luft. Er dachte an das göttliche Mädchen, das ihm jetzt erschienen war wie ein Wesen aus überirdischen Regionen. Und er dachte auch an die Worte, welche er gehört hatte, und die er nicht zu verstehen vermochte. Was hatte sie gemeint mit dem Ideal, welches ihr verkörpert worden sei? Welche Ähnlichkeit war den beiden an ihm aufgefallen? – „Bis auf den Bart“, hatte die andere gesagt.
Das meiste Nachdenken aber verursachte ihm der Umstand, daß Graf Rallion auch mit zugegen war. Hatte der General denn nicht gesagt, daß sie einander noch gar nicht gesehen hätten? Sollte dies auf einem Irrtume beruhen? Sollte vielleicht gerade dieser Oberst ihr Ideal gewesen sein?
Bei diesem Gedanken war es Müller, als ob man ihm ein Schwert mitten durch das Herz stoße. Es türmte sich vor ihm auf wie eine dunkle, verhängnisvolle Wand, bereit, über ihm zusammenzubrechen und ihn unter sich zu begraben. Er fand während der ersten Hälfte der Nacht keine Ruhe und schlief erst ein, als schüchterne Vogelstimmen bereits das Nahen des anbrechenden Morgens verkündeten.
Und dann kam der Hausknecht, um ihn mit der Bemerkung zu wecken, daß das Dampfboot in kurzer Zeit abfahren werde. Er erhob sich und fand, als er das Gastzimmer betrat, daß die Passagiere bereits alle aufgebrochen waren. Er trank seinen Kaffee schleunigst und eilte ihnen nach. Da fiel ihm unterwegs ein, daß er der Baronesse hätte sagen können, daß er als Erzieher ihres Stiefbruders engagiert sei; doch konnte er den Umstand, es unterlassen zu haben, für keinen Fehler halten. Er brauchte ja nur zu tun, als ob er ihren Namen gar nicht kenne.
Es war nach dem gestrigen schönen Tage ein minder angenehmer Morgen eingetreten. Dichter Nebel lag auf dem Fluß, und es schien nicht, daß er sich bald teilen und erheben wolle. Die Luft lag schwer und regungslos auf der Gegend, und anstatt der gewöhnlichen Morgenfrische war eine laue, unerfreuliche Pression zu bemerken, welche die feuchten Ausdünstungen der Wiesen und des Flusses beinahe greifbar machte.
Als Müller an den Fluß gelangte, stand man bereits im Begriff, das Landungsbrett vom Schiff wegzuziehen. Er sprang hinüber und löste sich an der Schiffskasse ein Billet des zweiten Platzes. Als Schulmeister konnte er nicht gut für den ersten Platz bezahlen. Da er hinten eingestiegen war, mußte er die ganze Länge des ersten Platzes durchwandern. Dort saßen bereits die französischen Herren auf ihren Feldstühlen. Als sie ihn erblickten rief der Oberst:
„Da kommt auch der deutsche Tölpel! Macht ihm Platz, damit er kein Unheil anrichtet!“
Sie ließen ihn unter lautem Lachen an sich vorübergehen. Er nickte ihnen mit ehrerbietiger Freundlichkeit zu und zog den Hut vor ihnen, als ob er ihre höhnischen Gesichter für den Ausdruck gnädiger Herablassung halte.
Vorn auf dem zweiten Platz saß Fritz, der Diener, welcher gar nicht tat, als ob er Müller bemerke. Er hatte sich sehr verändert. Anstatt seiner gestrigen Kleidung trug er eine weite, blauleinene Bluse, ebensolche Hose und ein rotes Tuch um den Hals. Auf seinem ganz glattgeschorenen Kopf saß ein Hut von der Form, wie sie in jenen lothringischen Gegenden, besonders in den Departements Moselle und Meurthe gebräuchlich ist. Wer Fritz nicht kannte, der mußte ihn für einen jungen Landmann aus der Gegend von Metz oder Nancy halten. Müller hatte keine Ahnung, auf welche Weise Fritz zu dieser Umwandlung gekommen war, doch freute er sich über dieselbe, da sie den Umständen ganz angemessen war. Er wußte, daß Fritz schlau und vorsichtig war, daß er sich auf dessen Treue und Verschlagenheit vollständig verlassen konnte, und so erwartete er die spätere Erklärung desselben mit größter Ruhe.
Das Schiff setzte sich in Bewegung und stieß vom Ufer ab. Müller stand an der Brüstung und beobachtete die Bewegung der Räder, welche die heute sehr dunkel gefärbten Wasser peitschten. Da bemerkte er einen Mann, welcher vom ersten Platz auf dem Hinterteil des Schiffes aus langsam nach vorn geschritten kam. Beim Anblick dieses Herrn drehte er sich schnell um. Es war ersichtlich, daß er verhindern wollte, von ihm genauer betrachtet zu werden.
Der betreffende Herr war sehr anständig gekleidet. Seine fast militärisch stramme Haltung, der elegant gehaltene Vollbart und das goldene Lorgnon gaben ihm ein
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