55 - Die Liebe des Ulanen 01 - Im Auftrag Seiner Majestät
umzuckte den ganzen Horizont; einzelne schwere Tropfen fielen, dann fuhr ein blendender Blitzstrahl hernieder, es war, als ob ein großer, ungeheurer Feuerklumpen vom Himmel falle – ein entsetzlicher Donnerschlag erfolgte, und nun brach ein Regen los, so massenhaft, so flutenähnlich, daß man meinen sollte, die Wellen eines ganzen Meeres stürzten von der Höhe hernieder.
Das Verdeck des Schiffs war im Nu von sämtlichen Passagieren verlassen. Sie eilten nach den Kajüten, um Schutz zu suchen. Auch Müller war nach unten gestiegen.
Droben befanden sich nur die zur Führung des Schiffes dienenden Leute. Sie hatten einen schweren Stand. Blitz folgte auf Blitz und Schlag auf Schlag. Der Regen goß so dicht herab, daß der Mann, welcher vorn am Buge stand und die Glocke läutete, kaum zehn Fuß weit zu sehen vermochte. Er mußte sich festhalten, um vom Sturm nicht fortgerissen zu werden.
Die vorhin erwähnte Krümmung war schon zur Hälfte überwunden, und man durfte hoffen, in kurzer Zeit in Thron oder Neumagen anzulegen, wo man das Gewitter vorüberlassen konnte. Der Dampfer kämpfte mit aller Kraft gegen die aufgeregten Wogen an, welche in rasender Schnelle ihm entgegenschossen. Der Mann an der Glocke gab sich alle Mühe, mit seinem Blick die Regenmassen zu durchdringen, welche ihm von dem orkanartigen Sturm entgegengeschleudert wurden. Da – er horchte auf; es war ihm, als ob er vor sich ein Krachen und Stöhnen, ein eigenartiges Rauschen und Prasseln vernommen habe, welches nicht mit dem Heulen des Sturms und dem Brausen der Wogen verwechselt werden konnte. Schnell drehte er sich zurück und hielt die Hände an den Mund, um den Warnungsruf erschallen zu lassen – zu spät, denn in demselben Augenblick ertönte ein lauter schmetternder Krach; das Schiff erzitterte in seinem ganzen Bau, und der Mann, welcher den Ruf hatte ausstoßen wollen, wurde von dem Bug des Fahrzeugs auf eine gewaltige, sich da draußen auftürmende Holzmasse geschleudert. Sein Angstschrei erschallte zu gleicher Zeit mit demjenigen des Kapitäns und Steuermanns. Der erstere war von der Kommandobrücke auf das Deck gestürzt und der zweite von seinem Rad hinweg hinaus in die Wogen geschleudert worden.
Wie sich später herausstellte, hatte sich weiter oben ein sehr tiefgehendes Floß losgerissen und war von dem Sturm und den wilden Wogen mit rasender Schnelle flußab getrieben worden. Der Zusammenprall desselben mit dem Dampfer hatte in den beiden Kajüten des letzteren natürlich eine ganz schreckliche Verwirrung hervorgerufen. Die Passagiere waren zu Boden geschleudert worden und mit ihnen alles, was nicht niet- und nagelfest war.
Beim Andrang so vieler Menschen hatten Marion und ihre Freundin es vorgezogen, in der Damenkajüte Schutz zu suchen. Jetzt stürzten beide aus dem engen Raum heraus. Marion erblickte den Grafen Rallion, welcher sich soeben von seinem Fall wieder aufgerichtet hatte.
„Oberst, um Gottes willen, retten Sie uns!“ rief sie.
Er wendete sich nach ihr hin und wollte eben antworten, als vom Verdeck herab der laute, angstvolle Ruf erschallte:
„Rette sich, wer kann! Wir sinken bereits!“
Als Rallion diese Worte hörte, verzichtete er zu antworten. Er sprang mit einem raschen Satz nach der Treppe und eilte hinauf, die Passagiere ihm nach. Die beiden Damen wurden zur Seite gedrängt; keiner nahm Rücksicht auf sie. Man zerquetschte sich fast an der engen Tür, welche nach oben führte; man heulte und schrie, man tobte und fluchte; man schlug mit den Fäusten um sich, um den anderen zuvorzukommen. Und dazu krachte der Donner, und die Blitze leuchteten mit ihrem grellen Schein zu den kleinen Fensterchen herein.
„Gott, erbarme dich unser!“ schluchzte Nanon, indem sie sich zitternd in die Ecke schmiegte, um von den rasenden Menschen nicht erdrückt zu werden.
Jetzt, in diesem so gefahrvollen Augenblick, zeigte sich die Überlegenheit Marions in ihrer vollen Größe. Das schöne, stolze Wesen schlang ihre Arme um die bebende Freundin uns sagte:
„Nur Mut! Noch sind wir nicht verloren. Der Oberst ist fortgeeilt, um zu sehen, wie es steht. Warten wir; er kommt sicher wieder, um uns zu holen oder zu beruhigen!“
In der zweiten Kajüte war die Verwirrung womöglich noch größer als in der ersten. Auch hier war alles untereinander geschleudert worden. Hier hörte man das knirschende Eindringen des Bugs in die Stämme des Floßes und das Krachen, Stöhnen und Prasseln der schweren Hölzer, welche von den
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