55 - Die Liebe des Ulanen 01 - Im Auftrag Seiner Majestät
seinem Schreck bereits erholt zu haben. Er sah zwar noch blaß, aber ganz und gar nicht krank aus. Er kam dem Erzieher entgegen und sagte:
„Monsieur Müller, ich wollte schlafen, aber es geht nicht. Großpapa sagte, daß Sie die Probe machen sollten, und da muß ich dabei sein.“
Der Kapitän deutete nach einer Ecke des Schloßhofes und meinte:
„Sie sehen dort die Turnapparate. Gehen Sie hin und zeigen Sie uns, was Sie leisten.“
„Sehr wohl, gnädiger Herr!“
Mit diesen einfachen Worten schritt Müller nach der Ecke, stellte sich vor den Bock und sprang, ohne Ansatz zu nehmen oder die Hand als Stütze zu gebrauchen, über die ganze Länge des Gerätes hinweg. Dann trat er zum Reck, legte die Hand an und machte, ohne sich eines Kleidungsstückes zu entledigen, den Riesenschwung mit nur einem Arm.
„Genügt dies, Herr Kapitän?“ fragte er.
„Großpapa, das hat noch keiner gebracht!“ sagte Alexander.
„Sehr wahr“, nickte der Alte. „Monsieur Müller, satteln Sie sich den Braunen, den man jetzt vorführt. Sie sollen die Schule reiten.“
Ein Stallknecht brachte das Pferd; ein anderer trug Sattel und Zaumzeug herbei.
„Ist nicht nötig“, meinte Müller.
„Monsieur, der Braune ist schlimm!“ warnte der Alte. „Er trägt nur mich, jeden anderen wirft er ab.“
Das Pferd schien längere Zeit nicht aus dem Stall gekommen zu sein. Es tanzte mit hochspielenden Beinen und zerrte an dem Halfter, so daß der Knecht es kaum zu halten vermochte. Müller trat, ohne die Warnung des Alten zu beachten, hinzu und musterte das Pferd mit Kennermiene. Er nickte mit anerkennendem Lächeln und sagte:
„Sohn eines arabischen Halbblutes und einer englischen Mutter. Nicht, Herr Kapitän?“
„Allerdings“, antwortete der Gefragte. „Aber, sagen Sie, Monsieur Müller, woher haben Sie dieses Kennerauge, welches – – – Morbleu! Geht weg!“
Er sprang mit diesen letzten Worten zur Seite, denn Müller saß, man wußte gar nicht, wie er hinaufgekommen war, ganz plötzlich auf dem Pferd, hatte das Halfter ergriffen und jagte nun mit dem Braunen im Hof herum. Das Tier gab sich alle Mühe, den Reiter abzuwerfen, aber dieser saß so fest, als sei er angewachsen. Kannte er vielleicht ein geheimes Mittel? Fast schien es so, denn nach kaum einer Minute hatte er das Pferd beruhigt und ritt nun die Schule durch, mit einer Sicherheit und Eleganz, als ob er sich vor tausend Zuschauern in der Arena sehen lasse. Dann, als er in Galopp war, legte er sich plötzlich vornüber, sprengte quer über den Hof und mit einem kühnen, unvergleichlichen Satz über die drei Ellen hohe Hofmauer hinweg.
„Mille tonnerres!“ schrie der Kapitän. „Er muß den Hals brechen. Der Braune ist auf alle Fälle hin.“
Alles rannte nach dem Tor. Sie hatten es aber noch nicht erreicht, so stoben sie erschrocken zur Seite; denn von draußen rief die laute Stimme Müllers:
„Holla, gebt Platz drin!“
Und in demselben Augenblick kam der Doktor wieder über die Mauer hereingesprungen. Er ritt noch einige Male im Kreis umher, um das Pferd zu beruhigen, und sprang dann ab.
„Alle Teufel, wo haben sie das Reiten gelernt?“ fragte der Alte.
„Mein Lehrer war ein Ulan“, antwortete der Gefragte.
„Reiten alle Ulanen so, Monsieur?“
„Noch besser.“
„Ja, sie sind ein wildes Volk, dieses Hulanes. Sie wohnen in der Wüste, heiraten zehn bis zwanzig Frauen und reiten die Pferde zu Tode. Aber jetzt sollen Sie schießen.“
Müller sagte nichts, doch hatte er Mühe, ein Lächeln über die Worte des Alten zu verbergen. Er kannte ja zur Genüge die Tatsache, daß die Franzosen höchst zweifelhafte Geographen sind, und daß sie die Ulanen für eine wilde Völkerschaft halten, welche an der östlichen Grenze von Preußen lebt und beinahe zu den Menschenfressern gerechnet werden muß. Ehe man sie im Jahre 1870 in Frankreich kennen lernte, dichtete man ihnen die ungereimtesten Dinge an. Es war klar, daß man sie mit den Baschkiren und andern asiatischen Völkerschaften verwechselte.
Der Kapitän nahm aus der Hand des Hausmeisters einen Hinterlader und sagte, empor zur Wetterfahne deutend:
„Alexander hat gestern jenen kleinen Ballon steigen lassen, welcher mit der Schnur dort oben hängen geblieben ist. Ich werde ihn treffen.“
Er legte an und drückte ab. Der Ballon war getroffen.
„Sehen Sie! Machen Sie es nach.“
Er reichte dem Lehrer das Gewehr und eine Patrone. Dieser betrachtete jenes aufmerksam und sagte:
„Ah,
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