55 - Die Liebe des Ulanen 01 - Im Auftrag Seiner Majestät
zusammenzunehmen. Sein Gesicht nahm augenblicklich einen ganz verwunderten Ausdruck an; er sah aus, wie einer, der etwas nicht begreifen kann. Er schüttelte den Kopf und antwortete:
„Ich kam soeben die Treppe herab, da rief ein Herr, den ich nicht kenne, da vorn im Korridore von Krieg und vom Fliehen. Welch ein eigentümlicher Scherz!“
„Welche Worte hat er gebraucht?“ forschte der Alte dringend. „Sagen Sie es genau, ganz und gar genau!“
„Die Worte Krieg und Fliehen.“
„Keine anderen?“
„Nein, wenigstens habe ich keine anderen vernehmen können.“
Er hütete sich wohl, die Wahrheit zu gestehen. Er stand da ganz unerwartet vor der Lösung des Problems, welches auf das Tiefste in sein Leben, ja in das Glück seiner Familie und Anverwandten eingriff. Es lüftete sich hier auf einmal der Schleier eines Geheimnisses, für dessen Lösung er sehr oft so gern sein Leben hingegeben hätte. Wie viele, viele hundertmal hatte er, hatte seine liebe, herzige Mutter, hatte sein alter, greiser Großvater und seine holde, schöne Schwester auf den Knien gelegen, um Gott inbrünstig zu bitten, einen Lichtblick in das Dunkel fallen zu lassen! Vergebens! Und nun, nach langen Jahren, nach dem Aufgeben aller Hoffnung, kam so unerwartet der erbetene Strahl, zwar nicht scharf und blendend wie ein Blitz, auch nicht hell und überzeugend wie das Licht des vollen Tages, aber doch vorbereitend und Ahnung erweckend wie das furchtsame, leise versuchende Grauen eines Morgens nach dunkler Wetternacht. Da galt es, vorsichtig zu sein!
„Es war mein Sohn, der Baron de Sainte-Marie“, meinte der Veteran jetzt kalt. „Sie müssen wissen, daß er an eigentümlichen Anfällen leidet; ich weiß nicht, ob ich sie hysterisch oder anders nennen soll. Dann träumt er laut. Man darf ihn nicht beachten. Ich habe strengen Befehl, daß zu solchen Zeiten ein jeder sich sofort zurückzuziehen hat, da die Gegenwart Fremder den Grad der Anfälle auf das gefährlichste steigert. Auch Sie haben diesen Befehl zu respektieren. Gäben Sie den Worten, welche der Kranke redet, nur die kleinste Beachtung, so würde ich Sie auf der Stelle entlassen, wenn nicht gar noch etwas anderes geschähe!“
Seine Augen glühten in einem bösen Feuer, und seine Zähne zeigten sich. Er hatte in diesem Augenblick ganz das Aussehen eines Mannes, dem das Wohl oder Wehe, das Leben der ganzen Menschheit nur eine Bagatelle gilt.
„Was wollten Sie übrigens hier auf dem Korridor?“ fragte er.
„Ich stand im Begriff, mich nach dem Hof zu begeben“, antwortete Müller demütig.
„Was dort?“
„Der junge Herr erwartet mich dort. Er hat mich zu einem Spaziergang befohlen.“
„So gehen Sie! Aber merken Sie sich, daß kein Mensch, kein Fremder etwas über die Anfälle meines Sohnes erfahren darf!“
Er drehte sich mit jugendlicher Raschheit auf dem Absatz um und schritt nach der Tür zu, hinter welcher der Baron verschwunden war. Müller ging in den Schloßhof, wo Alexander ihn bereits erwartete.
Die Baronin hatte diese kurze, eigentümliche Unterredung mit angehört. Sie folgte mit langsamen Schritten dem Alten. Als sie das Zimmer betrat, in welchem der Baron sich gewöhnlich aufhielt, fand sie dasselbe leer; aber aus dem angrenzenden Kabinett drang eine jammernde Stimme, zwischen deren angstvollen Rufen man die harte, drohende Stimme des Kapitäns erkannte. Sie trat dort ein.
Es war das Schlafzimmer des Barons. Dieser lag auf seinem Bett, hatte den Kopf in die Kissen versteckt und wimmerte:
„Er ist da! Er ist da! Ich habe ihn gesehen und erkannt!“
„Schweig!“ gebot der Alte. „Er war es nicht!“
„Er war es!“ behauptete der Irre. „Er sucht die Kriegskasse!“
„Ich befehle dir, zu schweigen!“
„Nein, nein, ich will nicht schweigen; ich kann nicht schweigen!“ rief sein Sohn, indem er das Gesicht noch tiefer in die Kissen vergrub. „Ich mag die Kasse nicht; ich habe bereits eine geraubt. Ich habe die Kasse von Magenta gestohlen; wozu brauche ich die von Waterloo!“
„Schweig, sage ich, sonst muß ich dich strafen!“
„Schlag zu, Alter! Schlag zu, Bösewicht!“ rief der Baron. „Ich gehorche dir doch nicht! Behalte deine Kasse! Ich mag sie nicht! Das Gold trieft von Blut!“
Da zog ihm der Kapitän die Kissen weg, erhob die geballte Faust und drohte:
„Mensch, noch ein Wort, und ich zeige dir, wer dein Meister ist!“
„Du nicht; du bist es nicht!“ rief der Kranke, indem er sich erhob und seinen Vater mit von
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