55 - Die Liebe des Ulanen 01 - Im Auftrag Seiner Majestät
sehr sorgfältig lud und in die Tasche steckte, dann trat er zu einem Schrank, dessen Tür er öffnete. Der Lauscher glaubte, jener werde irgendein Kleidungsstück aus dem Schrank nehmen; statt dessen aber stieg er ganz hinein und zog die Tür hinter sich zu. Müller wartete ein Weilchen, doch der Alte kam nicht wieder heraus. Was war das?
„Ist in dem Schrank eine geheime Verbindungstür verborgen?“ fragte sich der Lehrer. Nein, sie wäre ja überflüssig, da gleich daneben eine Tür in das Nebenzimmer führt. Oder befindet sich im Schrank der Eingang zu den Doppelmauern. Das wäre eher zu glauben. In diesem Fall aber mußte Müller vorsichtig sein, denn es stand zu vermuten, daß der Kapitän soeben einen seiner Beobachtungsgänge angetreten habe. Wie nun, wenn er auch nach dem Parkhäuschen kam?
Müller stieg weiter herab und schlich sich nach dem Garten, als er die Erde erreicht hatte. Von dort aus ging er nach dem Park.
Es war zwar dunkel, aber beim hellen Schein der Sterne konnte man doch immerhin bemerkt werden. Darum hielt er sich immer unter dem Schutz der Bäume, welche die Rasenstellen des Parks begrenzten. Eben wollte er über eine kleine Lichtung hinüberhuschen, als er den Schritt anhielt.
„Pst!“ erklang es leise neben ihm. „Ich hörte Sie kommen!“
Wer war das? Es hatte wie eine weibliche Stimme geklungen. Er sollte keinen Augenblick im Zweifel bleiben, denn eine warme, weiche Hand erfaßte die seine, und zu gleicher Zeit legte sich ein voller Arm zärtlich um ihn.
„Ich dachte, Sie erwarteten mich bereits“, flüsterte es weiter. „Ich konnte nicht eher kommen, denn mein Schwiegervater ging erst jetzt von uns fort, und dann mußte ich ja erst Alexander zur Ruhe bringen, welcher nicht müde wurde, von seinem neuen Erzieher zu erzählen. Da wir uns hier treffen, brauchen wir nicht viel weiter zu gehen. Komm, unter jenen Eschen steht eine Bank!“
Sie zog ihn leise fort, ohne den Arm von ihm zu nehmen. Was sollte er tun? Für wen hielt sie ihn? Es war die Baronin; das hatten ihm ihre Worte bereits verraten. Er war als Kundschafter hier. Es gab vielleicht Gelegenheit, etwas Wichtiges zu erfahren. Er beschloß, die ihm angetragene Rolle aufzunehmen und soweit wie möglich zu spielen. Die Baronin erwartete einen heimlichen Liebhaber; das war sicher; er fühlte keine Gewissensbisse, das untreue Weib zu täuschen.
Sie erreichten die Bank. Er setzte sich, und die Dame nahm auf seinem Schoß Platz. Diese Vertraulichkeit war der sicherste Beweis, daß derjenige, dessen Stellvertreter Müller so unerwartet geworden war, bereits längere Zeit mit der Baronin in heimlichem Verkehr stand. Sie legte sich fest, innig und warm an ihn, und aus den vollen, üppigen Formen, welche er fühlte, bemerkte er, daß er sich vorhin nicht getäuscht hatte, als er an ihrer Stimme und aus ihren Worten sie als die Baronin erkannte.
Aber für wen galt denn er? Dies zu erfahren, war die Hauptsache. Sie selbst kam ihm zu Hilfe, denn sie sagte:
„Alexander erzählte mir, daß er heute mit Monsieur Müller bei Ihnen gewesen sei. Sie haben sich aber geweigert, ihn einzulassen!“
Ah, also der Direktor war der heimliche Geliebte dieses Weibes! Müller fühlte sich erleichtert. Er hatte fast ganz die Gestalt des Direktors; sein falscher Bart glich dem des letzteren zufälligerweise fast ganz; auch hatte er ja mit diesem Mann gesprochen und seine Stimme zur Genüge gehört, um sie leidlich nachahmen zu können.
„Ich durfte ja nicht“, antwortete er leise.
„Allerdings! Dieser alte Kapitän ist sehr streng; aber dennoch wünsche ich, daß Sie Rücksicht auf Alexander nehmen, der ja Ihr zukünftiger Herr ist, und daß Sie Monsieur Müller freundlicher begegnen.“
Sie sprach im Flüsterton, und so wurde es Müller leicht, seine Stimme zu verstellen, da dies im Flüsterton am wenigsten schwierig ist.
„Diesen Deutschen? Ah!“ sagte er.
„Ich weiß, daß Sie die Deutschen hassen, ebenso wie ich es tue; Ihre ganze jetzige Tätigkeit ist ja darauf gerichtet, sie zu verderben; aber ich möchte mit ihm eine Ausnahme machen. Alexander liebt ihn.“
„Das wäre ja wunderbar!“
„Ja, er hat noch keinen seiner Lehrer geliebt; aber Monsieur Müller hat ihm das Leben gerettet und dann auch sein Herz zu gewinnen vermocht. Übrigens ist er nicht mit anderen Schulmeistern zu vergleichen.“
„Warum nicht, meine Teure?“
„Ah, endlich einmal ein zärtliches Wort: meine Teure! Wissen Sie, daß Sie heute abend
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