55 - Die Liebe des Ulanen 01 - Im Auftrag Seiner Majestät
danach, und so kam es, daß Alexander großen Gefallen an seinem neuen Lehrer fand, der gar nicht tat, als ob er ihn in seine pädagogische Dressur nehmen wolle, sondern sich sogar herbeiließ, Eichkätzchen mit ihm zu jagen.
Als der Knabe sich ermüdet fühlte, machte er den Vorschlag, nach dem Parkhäuschen zu gehen, um sich dort auszuruhen. Müller willigte ein. Sie fanden das kleine, einfache Häuschen, welches nur einen einzigen Raum besaß, in welchem einige Holzstühle und ein Tisch standen. Hier setzten sich beide, und Müller, der seine Augen offen hatte, zumal da er gewahr geworden war, daß sein eigenes Zimmer eine Doppelmauer hatte, bemerkte, daß die eine Wand des Häuschens, trotzdem sie, wie die anderen, nur aus Brettern bestand, eine Dicke von einigen Fuß besaß. Das fiel ihm auf.
Aus diesem Grund suchten im Laufe der Unterhaltung seine Augen diese Wand ganz unwillkürlich immer wieder und – ah, was war das? Hatte sich wirklich ein Teil der Wand jetzt ganz leise verschoben?
Er zog sein Taschentuch hervor und nahm die Brille von der Nase, wie um die erstere abzuputzen; dann wischte er sich die scheinbar blöden Augen langsam aus und hatte so Gelegenheit, unbemerkt von einem unsichtbaren Beobachter unter dem Tuch hervor mit dem einen, halb geschlossenen Auge die Stelle der Wand zu mustern, von welcher er bemerkt zu haben glaubte, daß sie bewegt worden sei.
Wirklich, es war ein ganz, ganz schmaler Riß entstanden, und Müller hätte darauf schwören mögen, sehr genau den Punkt anzeichnen zu können, wo ein schwarzes, glänzendes Auge durch die Spalte luge. Es stand unumstößlich fest, daß sich eine Person zwischen der Doppelwand befand und ihn und den Knaben belauschte. Dieser Teil der Wand war jedenfalls nach Art der Zugtüren zu bewegen, welche, anstatt in Angeln, auf einer Schiene oder in einem Falz auf kleinen Rollen oder Rädern laufen.
Wer aber war der Lauscher? Es war des Kapitäns Auge. Doch hatte Müller keine Zeit, über diesen Gegenstand nachzudenken. Er mußte sich hüten, bemerken zu lassen, daß er die Spalte entdeckt habe. Darum drehte er sich unbefangen von dieser Richtung ab und nach Alexander hin, mit welchem er eine lebhaft geführte Unterhaltung begann.
Nach einigen Minuten hatte, wie ihm ein flüchtiger Blick verriet, die Spalte sich wieder geschlossen, und da gerade jetzt Alexander vor das Häuschen trat, um einen Habicht zu beobachten, welcher in der Höhe seine Kreise zog, so herrschte im Innern der Hütte eine augenblickliche lautlose Stille, während welcher man ein Blatt hätte fallen hören können. Da, horch, entstand unter dem Fußboden ein eigentümliches Geräusch. Es war, als ob Schlüssel klirrten, als ob dann eine schwere Tür in kreischenden Angeln sich bewege. Das war allerdings nicht mit solcher Deutlichkeit zu hören, daß man die Wahrnehmung mit Sicherheit behaupten konnte, aber Müller hatte ein scharfes, gutes Gehör, auf welches er sich verlassen konnte. Er beschloß, baldigst diese auffälligen Erscheinungen zu untersuchen. Je eher dies geschehen konnte, desto besser war es, denn dieses Schloß Ortry war ein zu zweifelhafter Aufenthalt, als daß es geraten sein konnte, die Entdeckung nützlicher Geheimnisse zu verzögern.
Nachdem die beiden sich ausgeruht hatten, sprach Müller den Wunsch aus, nach dem Eisenwerk zu gehen, um sich dasselbe zu besehen. Alexander stimmte bei, doch wurden beide vom Direktor nicht sehr freundlich aufgenommen.
„Sind Sie vom Herrn Kapitän geschickt, gnädiger Herr?“ fragte er Alexander.
„Nein.“
„Oder haben Sie eine Erlaubniskarte?“ wendete er sich an Müller.
„Auch nein. Bedarf es einer solchen?“ fragte dieser.
„Allerdings.“
„Das scheint mir verwunderlich. Ich habe oft ganz ähnliche Werke besucht, deren Besitzer und Leiter es sich zur Freude gemacht haben, Fremde zu informieren. Es kann dem Besitzer eines industriellen Etablissements nur lieb sein, zu hören, daß seine Anlagen in einem Ruf stehen, der sogar den Laien herbeizieht.“
„Ich gebe das zu“, meinte der Direktor abweisend. „Sie werden jedoch ebenso bereitwillig zugestehen, daß wir oft verschwiegen sein müssen. Es kann uns nicht gleichgültig sein, ob unsere Konkurrenten erfahren, mit welchen Mitteln und auf welche Weise wir arbeiten, welche Handgriffe wir anwenden, und zu welchem chemischen Verfahren wir uns entschlossen haben.“
„Halten Sie mich für einen Konkurrenten?“ lächelte Müller.
„Ich halte Sie für
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