55 - Die Liebe des Ulanen 01 - Im Auftrag Seiner Majestät
vor den Mund trat und seine Kräfte sich verdoppelten, so daß er kaum zu bändigen war.
„Was tun wir?“ fragte er.
„Wo ist sie? Zeigt sie mir, sonst geht alles zugrunde und in Trümmer!“ gebot der Baron, indem er drohend auf die beiden zutrat.
„Zeigen Sie sie ihm!“ antwortete die Baronin, indem sie angstvoll vor dem Kranken zurückwich.
„Es wird kein anderes Mittel geben als dieses“, meinte er. Und zu seinem Sohn gewendet, sagte er:
„Wen willst du sehen?“
„Liama, meine Geliebte, mein Weib!“
„Sie ist ja tot!“
„Tot?“ hohnlachte der Kranke. „Denkt ihr, ich weiß nicht, daß ihr mich betrügen wollt?“
„Du hast sie ja selbst mit begraben.“
„Begraben? Ja. Aber sie ist auferstanden. Ich will sie sehen; ich muß sie sehen; ich muß ihr sagen, daß ich die Kriegskasse nicht behalten mag, und daß sie mir vergeben soll, obgleich ich ein – Mörder bin. Vorwärts! Ich warte nicht!“
„Nun gut, du sollst sie sehen“, entschloß sich der Alte. „Komm!“
Er nahm seinen Sohn beim Arme und winkte der Baronin zu, das Zimmer zu verlassen. Diese aber trat näher und erklärte:
„Ich gehe mit!“
Da blickte der Alte sie halb verwundert und halb zornig an und fragte:
„Warum?“
„Ich will das Bild sehen, die Wachspuppe, von welcher Sie zu mir –“
„Pah!“ unterbrach er sie barsch. „Das ist nicht für Weiber!“
„Oh, warum nicht?“ antwortete sie mit fester Stimme. „Ich will mich endlich überzeugen, ob Sie ein ehrliches Spiel mit mir treiben. Ich muß endlich einmal wissen, wo sich der Eingang zu Ihrem Geheimnis befindet. Ich will endlich einmal aufhören, der Spielball Ihrer Intrigen zu sein. Ich gehe nicht von der Stelle; ich muß heute erfahren, woran ich bin!“
„Ah, Madame, kennen Sie die Sage vom verschleierten Bild zu Sais?“ fragte er, indem er sie mit einem höhnischen Blick überflog.
„Ich kenne sie“, antwortete sie.
„Und Sie wissen auch, daß derjenige, welcher den Vorhang lüftete, sterben mußte?“
„Ich weiß es.“
„Nun wohl, so halten Sie sich von diesem Vorhang fern, denn ich nehme an, daß Sie noch nicht gewillt sind, auf Ihr junges Leben zu verzichten!“
„Oh, Herr Kapitän, wollen Sie damit etwa sagen –“
„Daß Sie sterben müßten; wenn Sie versuchten, mein Geheimnis zu ergründen! Ja, das will ich allerdings sagen.“
„So werden Sie mein Mörder sein!“
„Der würde ich allerdings sein, Madame“, antwortete er, indem er ihr näher trat. Und mit drohendem Ton fuhr er fort: „Entfernen Sie sich also schleunigst aus diesem Zimmer. Es ist mir ganz gleich, ob der Tochter eines Schweinehirten auf meine Veranlassung der Atem ausgeht oder nicht. Verstanden?“
Der Kranke stand dabei, ohne ein Glied zu rühren oder ein Zeichen zu geben, daß er höre und begreife, was gesprochen wurde. Der Alte hatte ihm versprochen, daß er Liama sehen würde, das war ihm genug.
„Und wenn ich auf meinem Willen beharre?“ meinte die Baronin stolz.
„So werde ich Ihnen zeigen, wieviel Ihr Wille hier auf Ortry gilt!“
Er holte, ehe sie sich dessen versah, aus und schlug sie mit der Faust auf den Kopf, daß sie besinnungslos zusammenbrach. Dann klingelte er. Ein Diener erschien im Wohnzimmer. Der Kapitän begab sich dorthin und befahl:
„Die Frau Baronin ist ohnmächtig geworden; ihre Mädchen mögen kommen, um sie nach ihren Gemächern zu tragen!“
Sobald der Bediente sich entfernt hatte, nahm der Alte den Baron beim Arm und zog ihn fort. Als die Mädchen kamen, fanden sie keinen einzigen Menschen in den Zimmern, welche der Baron bewohnte. Die beiden Männer waren spurlos verschwunden, obgleich sie den Korridor nicht betreten hatten.
Dieses geheimnisvolle Kommen und Verschwinden war von der Dienerschaft sehr oft bemerkt worden, ohne daß eine Erklärung dazu gefunden werden konnte. Müller war so glücklich gewesen, diesem Geheimnisse gleich am ersten Tag seines Hierseins auf die Spur zu kommen. Es sollten noch ganz andere Entdeckungen seiner warten.
Er war mit Alexander zunächst nach dem Schloßgarten gegangen, um dort die Gewächshäuser und sonstigen Anlagen zu betrachten; dann hatten sie den Park aufgesucht und sich sehr lebhaft in demselben herumgetummelt. Während dieser Zeit hatte Müller seinem Zögling alles zu Gefallen getan; er erkannte in dem Knaben eine jener Naturen, welche sich am leichtesten leiten lassen, wenn man ihnen den Schein läßt, daß sie es sind, welche regieren. Er behandelte ihn
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