56 - Die Liebe des Ulanen 02 - Napoleons letzte Schlacht
lebend vor ihm. Allah sei Dank, der Herr ist über Leben und Tod.“
Der Scheik vermochte nicht zu antworten; tausend mächtige Gefühle stürmten auf ihn ein. Er vergegenwärtigte sich den Augenblick der Gefahr; er sah den Löwen augenrollend vor sich stehen, er hörte den markerschütternden Ton seiner gewaltigen Stimme, er vergegenwärtigte sich den Augenblick, in welchem die Glieder des Raubtiers sich zum tödlichen Sprung bogen, und er hatte nicht Kraft genug, zu verhüten, daß bei dieser Erinnerung ein Zittern sich seines Körpers bemächtigte. Er reichte Saadi die Hand und sagte:
„Du hast mich vom Tod errettet. Du bist klüger als ich, und Allah hat dir ein mutiges Herz gegeben, welches nicht erbebt vor dem Herrn des Donners. Willst du vergessen, daß ich dich beleidigt habe?“
Die Augen des jungen Mannes leuchteten vor Entzücken.
„Alles, was du zu mir sagtest, soll so sein, als ob ich es nicht gehört hätte“, antwortete er. „Du bist der Scheik, und ich darf dir nicht zürnen.“
„So komm zu mir, sobald du das Fell des Löwen genommen hast.“
Menalek ergriff die Hand seines Weibes und seiner Tochter und schritt mit ihnen seinem Zelt zu.
„Kannst du den Retter nun noch hassen?“ wagte die Mutter zu fragen.
„Ich liebe ihn“, antwortete er. „Er hat gezeigt, daß ein Jüngling zuweilen einen Alten beschämen kann.“
Er gestand diese Beschämung ein, ohne sich von derselben zur Bitterkeit fortreißen zu lassen. Er war ein stolzer, aber auch ein einsichtsvoller Mann.
Die meisten der Zeltbewohner blieben bei Saadi zurück, um die außerordentliche Größe des Löwen zu bewundern. Dieser war jedenfalls eines jener alten Tiere, welche in Einsamkeit leben und selbst zu ihresgleichen in immerwährender, grimmiger Feindschaft stehen. Solche Exemplare werden, gerade wie bei den Elefanten, Einsiedler genannt und sind wegen ihrer Erfahrung, List und Verschlagenheit doppelt gefährlich.
Kurze Zeit später wurde Saadi im Triumph in das Zeltdorf geleitet. Er übergab das Fell des Löwen seiner Schwägerin, der Frau seines Bruders, zur Zubereitung und begab sich dann nach dem Zelt des Scheiks.
Er wurde dort ganz anders empfangen als vorher. Er mußte sich neben Menalek auf den Ehrenplatz setzen und erhielt Tabak und Pfeife, wobei Liama ihn bedienen mußte, was sie natürlich mit der größten Freude tat.
Die beiden Männer rauchten lange Zeit schweigend, ohne ein Wort zu sprechen; endlich aber legte der Scheik die Pfeife weg und sagte:
„Saadi, du tapferer Sohn der Beni Hassan, du hast mich am Leben erhalten, als ich bereits an der Pforte des Todes stand. Du liebst Liama, meine Tochter?“
Der Gefragte legte nun auch seine Pfeife fort und antwortete:
„Ich liebe sie von ganzem Herzen. Mein Leben gehört dir und ihr; darum habe ich es für dich gewagt, als der Herr des Donners dich zerreißen wollte.“
Der Scheik wendete sich an seine Tochter:
„Liama, du Weide meiner Augen, ist deine Seele diesem Tapferen zugetan?“
„Ja, Vater“, antwortete sie. „Allah hat ihm mein Herz geschenkt; Allah ist allmächtig, ihm ist nicht zu widerstehen.“
„So möge er dein Herr sein, und du sollst sein Weib sein, so lange Allah euch das Leben schenkt. Mein Segen sei euer Eigentum und leuchte euch bis zur letzten Stunde eurer Tage.“
Er legte ihre Hände ineinander. Sie knieten vor ihm nieder, und er segnete sie. Dann trat auch sein Weib herbei und legte unter Tränen ihre Hände auf die Häupter der beiden. Diese Abkömmlinge Ismaels hatten die Sitten ihrer Urahnen in solcher Ursprünglichkeit erhalten, daß die gegenwärtige Szene sehr leicht in die alttestamentliche Zeit zurückgedacht werden könnte.
„So seid ihr denn bereits heute Mann und Weib“, sagte der Scheik. „Doch wenn der neue Monat beginnt, soll eure Hochzeit gefeiert werden, so weit die Herden der Beni Hassan weiden. Von jetzt an soll Saadi in meinem Zelt wohnen. Liama ist mein Kind und er mein einziger Sohn. Was ich habe, ist auch sein Eigentum. Der Wille Allahs soll geschehen.“
Hierauf zog er sich in den hinteren Teil des Zeltes zurück; die Liebenden aber, welche so unerwartet und plötzlich glücklich geworden waren, traten aus demselben hinaus, um beim Schein der Sterne von der Seligkeit zu flüstern, welche jetzt in ihrem Herzen wohnte. – – –
Am anderen Morgen ritten drei Männer in das Zeltdorf ein. Sie sahen ungeheuer staubig aus und hatten das Aussehen von Leuten, welche eine große Reise hinter sich
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